Wir befassen uns in diesem Abschnitt mit Zahlenfolgen, die u.a. zur Einführung und Behandlung des für die Analysis äußerst wichtigen Grenzwertbegriffes unerläßlich sind.
Definition. (Folge) ist eine Folge (von reellen Zahlen) =Df
Bez.: oder einfach
Die heißen Folgeglieder. Für den praktischen Gebrauch kann die Folge auch mit dem Glied , , beginnen. Hierzu müßte die Definition wie folgt verallgemeinert werden: Eine Folge ist eine Abbildung aus in , wobei unendlich ist.
Beispiele.
Betrachtet man dann wird selbstverständlich angenommen, daß die Folge nicht mit beginnt, sondern erst mit .
Nicht alle Folgen, die man bilden kann, sind für uns interessant. Wir sondern mit Hilfe einer Definition eine besonders wichtige Teilklasse aus.
3.1 Konvergenz von Folgen
Definition. (Konvergenz) Sei eine Folge und ist konvergent gegen =Df
Bez.:
oder
Um den Konvergenzbegriff möglichst anschaulich zu formulieren, sagen wir auch: In jeder -Umgebung von liegen fast alle Folgeglieder . „Fast alle“ bedeutet „alle, mit Ausnahme höchstens endlich vieler“.
Definition. (1) konvergiert (oder ist konvergent in =Df
Bemerkung. Im folgenden bedeutet „Konvergenz“ – wenn nichts anderes vereinbart wird – immer „Konvergenz“ in .
Beispiele. 1. Sei Behauptung: konvergiert gegen . Beweis. z.z.: Für beliebiges gibt es ein , so daß für jedes gilt: Sei Nach Satz 2.2(11) existiert ein , so daß Für ist dann Also
2. Sei Behauptung: Beweis. Sei Es ist
= | ||
|
= | |
|
= | |
|
Ist , dann gilt für alle
3. Sei . Behauptung: ist divergent (in ). Annahme: konvergiert gegen . Nach Definition der Konvergenz erhält man: Für jedes existiert ein , so daß für jedes gilt: Dies gilt insbesondere für Für sind zwei Fälle möglich: oder . Fall 1.
Ist ungerade, dann ist Folglich ist
!
Fall 2.
Ist gerade, dann ist und damit gilt
!
Folglich ist nicht konvergent.
Satz 3.1 Eine Folge hat höchstens einen Grenzwert (d.h., konvergiert gegen höchstens eine Zahl).
Beweis. Angenommen, und und . Dann ist Nach Definition der Konvergenz gilt:
Für jedes existiert ein , so daß für jedes , und
es existiert ein , so daß für jedes
Das gilt speziell für
Ist dann gilt für
Also
!
Definition. (Nullfolge) Eine Folge heißt Nullfolge =Df
Beispiele.
1. sind triviale Beispiele für Nullfolgen.
2. Es sei und Um nachzuweisen, daß eine Nullfolge ist, g.z.z.: Wenn , dann existiert ein , so daß für jedes
Sei Für ist die Behauptung trivial. Es sei jetzt Wegen ist
Nach dem Korollar zur Bernoullischen Ungleichung existiert für eine natürliche Zahl , so daß Folglich ist also Für gilt
damit
Satz 3.2 konvergiert gegen konvergiert gegen .
Beweis. Trivial.
Definition. (Beschränktheit bei Folgen) Sei eine Folge von reellen Zahlen.
(1) ist nach oben (bzw. nach unten) beschränkt =Df
(2) ist beschränkt =Df
Folgerung. ist beschränkt gdw ein existiert, so daß
Beispiel. ist beschränkt.
ist offenbar eine untere Schranke von . Es bleibt noch nachzuweisen, daß es auch eine obere Schranke gibt, obwohl es aufgrund der ersten Glieder nicht so zu sein scheint.
Für und ist
Für ist offensichtlich Folglich ist eine obere Schranke von
Bemerkung. ist sogar eine Nullfolge. Denn für und ist
und für beliebiges ist dann
d.h., für fast alle gilt
Satz 3.3 Jede konvergente Folge ist beschränkt.
Beweis. Es sei konvergent gegen . Für existiert dann ein , so daß für jedes gilt: Es sei für alle Für beliebige gilt dann: . Hieraus erhält man
Folglich ist
beschränkt.
Definition. (Häufungspunkt einer Folge) Es sei eine Folge und . ist ein Häufungspunkt (oder Verdichtungspunkt) von
Satz 3.4 Jede beschränkte Folge besitzt wenigstens einen Häufungspunkt.
Beweis. Sei beschränkt und . 1. Fall: ist endlich. Dann müssen unendlich viele Folgeglieder untereinander gleich sein:
. Folglich ist
ein Häufungspunkt von
.
2. Fall:
ist unendlich.
Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß besitzt
als nicht-leere und beschränkte Menge einen Häufungspunkt
Dieses
ist dann auch Häufungspunkt der Folge
Bemerkung. Es gibt Folgen, die nicht beschränkt sind und
(a) keinen Häufungspunkt besitzen, (b) genau einen Häufungspunkt besitzen, (c) für jedes genau Häufungspunkte besitzen bzw. (d) unendlich viele Häufungspunkte besitzen.
Beispiele. (a) (kein Häufungspunkt) (b) (genau ein Häufungspunkt) (c) (genau Häufungspunkte) (d) Übungsaufgabe !
Definition. (Teilfolge) Es sei eine Folge und (d.h., für ). Dann heißt Teilfolge von
Satz 3.5 konvergiert gegen jede Teilfolge von konvergiert gegen .
Beweis. ()
Sei
und
eine Teilfolge von
.
Wegen
gilt: Für jedes
existiert ein
,
so daß für jedes
:
Das gilt insbesondere
für alle
.
Offenbar ist
und damit
für alle
() trivial, denn
ist eine spezielle
Teilfolge von sich selbst.
Satz 3.6 Ist ein Häufungspunkt der Folge , dann existiert eine Teilfolge von , die gegen konvergiert.
Beweis. Sei ein Häufungspunkt von Dann gilt: Für jedes und für jedes existiert ein , so daß Für wählen wir Damit erhält man:
für
für
für ⋮ ⋮ ⋮ ⋮
Wegen
ist
eine Teilfolge von
, und
konvergiert offenbar
gegen
.
Korollar. Jede beschränkte Folge enthält eine konvergente Teilfolge.
Beweis. Sei
beschränkt. Dann
besitzt
einen Häufungspunkt (nach Satz 3.4) und schließlich eine konvergente
Teilfolge (nach Satz 3.6).
Definition. (Limes superior, Limes inferior) Es sei eine beschränkte Folge von reellen Zahlen und die Menge aller Häufungspunkte (oder Limites von konvergenten Teilfolgen) von heißt Limes superior oder oberer Limes von [:= größter Häufungspunkt in ]. heißt Limes inferior oder unterer Limes von [:= kleinster Häufungspunkt in ].
Bemerkung. Die Definition ist korrekt, denn (1) , da beschränkt ist. (2) ist beschränkt, denn ist beschränkt; folglich existieren und . (3) Mit Satz 2.10 läßt sich zeigen, daß und . (Übungsaufgabe !)
Satz 3.7 Für beschränkte Folgen sind die Bedingungen äquivalent ist konvergent. besitzt genau einen Häufungspunkt.
Beweis. Übungsaufgabe !
Definition. (monoton wachsend bzw. monoton fallend ) Sei eine Folge von reellen Zahlen. (1) ist monoton wachsend (bzw. monoton fallend ) =Df
(2) ist streng monoton wachsend (bzw. streng monoton fallend ) =Df
Für „monoton wachsend“ bzw. „monoton fallend“ schreiben wir gelegentlich auch einfach „monoton“.
Satz 3.8 Eine monotone Folge ist konvergent gdw sie beschränkt ist.
Beweis. () Konvergente Folgen sind beschränkt (nach Satz 3.3; hierzu ist die Monotonie nicht notwendig). () Sei monoton wachsend und beschränkt (für „fallend“ verläuft der Beweis analog). z.z.: ist konvergent. Sei Behauptung: . Sei Nach Voraussetzung ist kleinste obere Schranke von , d.h., ist , dann ist keine obere Schranke von . Sei , dann existiert ein Folgeglied , so daß . Da monoton wächst, gilt für alle :
also
für
Beispiel. (Definition der Eulerschen Zahl )
Sei
Behauptung: ist streng monoton wachsend und beschränkt. (Dann ist nach Satz 3.8 konvergent.)
z.z.:
Zu 1. g.z.z.: (denn alle sind positiv).
Es ist
(nach der Bernoullischen Ungleichung)
denn
(und die letzte Ungleichung gilt offensichtlich).
Also für jedes , und damit ist streng monoton wachsend.
Zu 2. ist beschränkt.
Offenbar ist für jedes .
Weiterhin ist
Es genügt zu zeigen, daß die Folge streng monoton fällt.
g.z.z.: (denn alle sind positiv).
Der Beweis hierzu verläuft ähnlich wie für , er wird als Übungsaufgabe gestellt.
Damit haben wir
für jedes .
Also
Dann ist monoton wachsend und beschränkt, also konvergent und monoton fallend und beschränkt, und somit auch konvergent.
Folglich existieren Zahlen und , so daß
Behauptung:
Annahme:
Dann ist und folglich gilt für hinreichend große
Schließlich gilt
falls
Folglich ist
!
Also
Bemerkung. Wegen ist
folglich läßt sich beliebig genau durch rationale Zahlen annähern: , allerdings ist selbst nicht rational.
Satz 3.9 Cauchysches Konvergenzkriterium Eine Folge ist konvergent (in IR) gdw
für jedes ein existiert, so daß für jedes gilt
Beweis. () Sei konvergent,
Nach Definition existiert für ein , so daß für stets gilt: Folglich ist
für
() Wir zeigen zunächst, daß beschränkt ist.
Es sei Dann existiert ein , so daß für jedes Für ist insbesondere
Wir wählen
Dann gilt für beliebige
Folglich ist beschränkt. Damit besitzt einen Häufungspunkt und eine konvergierende Teilfolge mit (Korollar zu Satz 3.6; Satz 3.4)
Nach Definition gilt dann: Für jedes existiert ein , so daß für jedes gilt:
Nach Voraussetzung existiert ein , so daß für jedes gilt:
Für gilt dann
Definition. (Cauchyfolge oder Fundamentalfolge) ist eine Cauchyfolge (oder Fundamentalfolge) =Df
Korollar. Cauchyfolgen konvergieren in
Beweis. Der Beweis ist
nach Satz 3.9 trivial.
Da Cauchyfolgen in konvergieren, nennt man auch vollständig (bez. der Konvergenz von Cauchyfolgen). In diesem Sinne ist nicht vollständig, denn ist z.B. eine Cauchyfolge in , aber sie ist in nicht konvergent. Wir betrachten jetzt wieder Folgen in
Satz 3.10 Eigenschaften konvergenter Folgen Es seien konvergente Folgen und seien reelle Zahlen. Dann gilt ist konvergent und ist konvergent und ist konvergent und
Beweis. Es sei und sei (1). Es ist . 1. Fall: für jedes 2. Fall: für fast alle Damit erhält man
für fast alle
In jedem Fall ist also
(2). Nach Voraussetzung gilt: Folglich existiert ein so daß für jedes :
Daraus erhält man
für
Also
(3). Es soll durch „abgeschätzt“ werden, und zwar für fast alle Es ist bekannt, daß „klein“ werden für hinreichend große . Wir beginnen zu rechnen und versuchen ein so zu finden, daß die Abschätzung gelingt.
= | ||
|
||
|
= |
Nach Voraussetzung ist konvergent, also auch beschränkt durch ein d.h.,
Daraus ergibt sich
Dies gilt aber nach (1) für hinreichend große
Analog gilt auch für große
Damit erhält man insgesamt
(4). Um diese Behauptung beweisen zu können, benötigen wir zunächst ein
Lemma. Wenn dann existiert ein so daß für jedes gilt :
Beweis. Sei Wegen gibt es ein so daß für jedes gilt:
Weiterhin gilt:
Beweis zu (4). Es ist
= | ||
|
= |
Wegen existiert für ein so daß für jedes gilt:
für
Also
. Wegen und gilt Da auch erhält man mit (3)
(5). Es ist für hinreichend große Also
(6). Sei g.z.z.: Denn dann gilt ja
Annahme:
Sei Dann liegen in fast alle
, also
!
Ist speziell so ist ( als konstante Folge betrachtet).
Analoges gilt für
Definition. (bestimmte Divergenz) Es sei eine Folge von reellen Zahlen.
Beispiel. ist bestimmt divergent gegen .
Denn ist , dann existiert ein mit . Folglich gilt für Aber: ist divergent, jedoch nicht bestimmt divergent.
Satz 3.11 Ist bestimmt divergent und beschränkt, dann ist bestimmt divergent.
Beweis. Übungsaufgabe !
3.2 Reelle Zahlen als Grenzwerte von Folgen rationaler Zahlen
Satz 3.12 Zu jeder reellen Zahl existiert eine Cauchyfolge von rationalen Zahlen, so daß
Beweis. (Idee) Sei Man konstruiert eine Intervallschachtelung von rationalen Zahlen mit und Dazu seien beliebige rationale Zahlen mit Weiterhin seien (nach Induktionsvoraussetzung) schon mit den geforderten Eigenschaften gegeben. Ist dann ist Jetzt definieren wir wie folgt:
falls und falls
Behauptung: (und ).
Es ist
Definition. (grenzwertgleich) Es seien Cauchyfolgen. und sind grenzwertgleich =Df
sind z.B. grenzwertgleiche Cauchyfolgen im Bereich der rationalen Zahlen.
Bemerkung. „Grenzwertgleich“ ist eine Äquivalenzrelation in der Menge aller Cauchyfolgen von rationalen Zahlen. (Beweis mit Satz 3.10 trivial).
Dabei ist der Begriff Äquivalenzrelation wie folgt definiert:
Es sei eine Menge und eine zweistellige Relation in . heißt Äquivalenzrelation in =Df
Ein Mengensystem mit einer Indexmenge heißt Klasseneinteilung oder Partition oder Zerlegung von =Df
Eine Äquivalenzrelation in zieht eine Klasseneinteilung von nach sich; jeweils äquivalente Elemente gehören der gleichen Klasse an (dies müßte natürlich bewiesen werden). Die so entstehenden Klassen heißen auch Äquivalenzklassen. Ist die Menge aller Cauchyfolgen von rationalen Zahlen und die Grenzwertgleichheit in , dann wird in Äquivalenzklassen grenzwertgleicher Cauchyfolgen zerlegt. Damit sind neue mathematische Objekte entstanden, die (wie Dedekindsche Schnitte) ebenfalls als reelle Zahlen interpretiert werden können.
Definition. (reelle Zahlen) ist eine reelle Zahl =Df
Jede Cauchyfolge mit ist ein Repräsentant der Klasse . Die Menge der betrachteten Äquivalenzklassen heißt Menge der reellen Zahlen und wird mit bezeichnet.
Beispielsweise ist
Damit ein geordneter Körper wird, benötigen wir noch Rechenoperationen und und eine Ordnungsrelation in Die Definitionen der Operationen und der Relation erfolgen mit Hilfe von Repräsentanten.
Es seien reelle Zahlen. Folglich gibt es Cauchyfolgen in , so daß . Dann sei:
=Df für alle
=Df für alle und
=Df und für fast alle
bedeutet, daß und nicht grenzwertgleich sind.)
=Df
=Df ; Voraussetzung: und ist keine Nullfolge.
Die Definitionen sind unabhängig von der Wahl der Repräsentanten; dies bedeutet z.B. für die Addition: Sind und andere Repräsentanten von bzw. , dann muß dies zum gleichen Ergebnis führen, d.h.,
wenn und so ist
Dies bedeutet dann nämlich, daß womit die gleiche reelle Zahl festgelegt ist. Analog verfährt man mit den anderen Fällen.
Mit den so eingeführten Funktionen und und der Relation bildet die Menge der reellen Zahlen (= Menge der entsprechenden Äquivalenzklassen) einen archimedisch geordneten Körper, in dem das Intervallschachtelungsaxiom gilt. Dieser Körper ist bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt! (Dies hätte natürlich alles bewiesen werden müssen.)
Abschließend betrachten wir noch Funktionenfolgen. Dazu sei und für jedes sei eine in definierte Funktion. Weiterhin sei auch in definiert.
Definition. (Konvergenz von Funktionenfolgen) (1) Die Funktionenfolge konvergiert an der Stelle gegen
(2) konvergiert in gegen die Funktion =Df
(3) konvergiert in =Df
Beispiel. Es sei und
Für jedes fixierte mit gilt offenbar ; für ist , also
Folglich ist
mit
Definition. (gleichmäßige Konvergenz) Die Funktionenfolge konvergiert in gleichmäßig gegen =Df
Die folgende Abbildung veranschaulicht, daß sich bei der gleichmäßigen Konvergenz für vorgegebenes die Funktionen von an jeder Stelle um weniger als unterscheiden, falls hinreichend groß ist; man sagt dafür auch, daß die Funktionen in dem -Streifen von liegen.
Anwendung: Oft
approximiert man eine aufwändig zu berechnende Grenzfunktion
über einem bestimmten Bereich durch einfacher zu berechnende Funktionen
. Konvergiert dabei die Folge
gleichmäßig gegen
,
so kann man
mit vorgegebener Genauigkeit
für den ganzen Bereich durch
eine der Funktionen
Die im vorhergehenden Beispiel betrachtete
Funktionenfolge
ist
nicht gleichmäßig konvergent in
.
Angenommen doch, dann gibt es für
ein
,
so daß für jedes
und
für alle
gilt:
Dies gilt insbesondere für
und
für alle
;
hier ist zusätzlich
. Also
für alle
mit
. Wir wählen jetzt
„hinreichend dicht“ bei 1;
mit
. Dann gilt nach der Bernoullischen Ungleichung:
(
fixiert). Sei
so klein, daß
, dann ist
!
In den späteren Abschnitten über Stetigkeit, Differenzierbarkeit und Integrierbarkeit von Funktionen werden wir uns ausführlicher mit den Eigenschaften der Grenzfunktion befassen.
Schwerpunkte für die Wiederholung von Kapitel 3