Wir betrachten zunächst die (formale) unendliche Summe
und setzen für Dadurch entsteht eine Folge von endlichen Summen, die wir für die Definition von unendlichen Reihen benutzen.
Definition. (Reihe)
Es sei
eine Folge von
reellen Zahlen.
Die Folge
mit
heißt Folge
der Partialsummen von
oder unendliche
Reihe (kurz Reihe).
Bez.:
4.1 Konvergenz von Reihen
Definition. (Konvergenz von Reihen) konvergiert gegen =Df konvergiert (gegen ). Bez.: heißt dann Wert oder Limes der Reihe.
Bemerkung. ist doppeldeutig, es bezeichnet die Folge der Partialsummen von und den Wert der Reihe, falls sie konvergiert. Dies wird im praktischen Umgang aber nicht zu Verwechslungen führen.
Definition. (Divergenz von Reihen) ist divergent =Df ist nicht konvergent.
Beispiel. (Geometrische
Reihe)
Sei
und
.
Dann konvergiert
gegen
(
heißt geometrische
Reihe).
Beweis. Für ist
Hieraus erhält man
Damit ist der Wert der -ten Partialsumme berechnet. Wegen erhält man aus den Eigenschaften konvergenter Folgen (vgl. Beispiel 2 in Kapitel 3, vor dem Satz 3.2)
Also
Satz 4.1 konvergiert gegen gdw für jedes ein existiert, so daß für jedes gilt
Beweis. Trivial; die
Behauptung folgt unmittelbar aus der Definition einer Reihe und der
Konvergenz von Folgen.
Satz 4.2 Cauchysches Konvergenzkriterium für Reihen ist konvergent gdw für jedes ein existiert, so daß für jedes gilt
Beweis. Der Beweis folgt
unmittelbar aus dem Cauchyschen Konvergenzkriterium für Folgen.
Korollar 1. konvergiert gdw für jedes ein existiert, so daß für jedes und für jedes gilt
Beweis. Sei (in Satz 4.2). Dann gilt:
Hieraus folgt die Behauptung.
Korollar 2. Wenn konvergiert, dann ist .
Beweis. Setzt man in dem
vorhergehenden Korollar
, dann ist
für jedes
Damit gilt
also
Korollar 3. Ist keine Nullfolge, so ist divergent.
Beweis. Kontraposition von
Korollar 2 !
Beispiel. ist nicht konvergent, da keine Nullfolge ist.
Definition. (absolute Konvergenz) ist absolut konvergent =Df ist konvergent.
Satz 4.3 Eine absolut konvergente Reihe ist konvergent.
Beweis. Sei konvergent und Dann existiert nach Korollar 1 ein so daß für jedes und Also
Folglich ist auch
konvergent.
Bemerkung. Wenn konvergiert, dann muß noch nicht konvergent sein. (Der Beweis hierzu erfolgt später.)
Satz 4.4 Es seien konvergent und . Dann ist konvergent und
Beweis. Sei und
Dann ist
Aus den Eigenschaften für
konvergente Folgen (Satz 3.10) erhält man
sofort die Behauptung.
Satz 4.5 ist konvergent gdw für jedes gilt ist konvergent und es ist
Beweis. Der Beweis ergibt sich sofort aus den Eigenschaften für konvergente Folgen. Man benutzt für :
Wir wissen schon, daß
konvergiert gdw
konvergiert und daß
.
Hieraus folgt die Behauptung.
Bemerkung. Ein Anfangsstück einer Reihe ist also ohne Belang für das Konvergenzverhalten der Reihe, wohl aber für den Wert der Reihe (falls Konvergenz vorliegt).
Definition. (alternierende Reihe) heißt alternierend =Df
Beispiele.
Satz 4.6 Leibniz–Kriterium Ist alternierend und und monoton fallend, dann ist konvergent.
Beweis. Es sei o.B.d.A. (anderenfalls betrachten wir und ). Weiterhin sei . Dann ist und
Folglich gilt:
In Abhängigkeit von ist die Anzahl der Summanden in gerade bzw. ungerade. Nach Voraussetzung ist die Folge monoton fallend, also . Ist gerade, dann kann man die Summanden in paarweise zusammenfassen, und es ist
Ist ungerade, dann bleibt bei der paarweisen Zusammenfassung übrig, aber ist offensichtlich nicht negativ. Folglich ist auch in diesem Fall
Andererseits ist
Insgesamt gilt also
und damit
Sei
Wegen
gibt es ein
so daß für jedes
:
ist konvergent.
Satz 4.7 Sei eine Reihe mit für jedes Dann gilt ist konvergent gdw die Folge der Partialsummen beschränkt ist.
Beweis. Es sei Zum Beweis benutzen wir Satz 3.8 (monotone Folgen sind konvergent gdw sie beschränkt sind).
() ist konvergent konvergent beschränkt.
() Wegen
für jedes
ist
monoton wachsend. Ist
außerdem
beschränkt, so ist
konvergent.
Beispiele.
1. (Anwendung des Leibniz-Kriteriums) Behauptung: ist konvergent.
Offenbar ist alternierend, und monoton fallend, folglich ist die betrachtete Reihe konvergent.
Sei (vgl. Beweis zu Satz 4.6; mit dem späteren Korollar zu Satz 7.11 läßt sich leicht zeigen, daß ).
2. (Die Glieder einer Reihe dürfen nicht beliebig „umsortiert“ werden.) Wir betrachten die Reihe aus Beispiel 1 und nehmen an, daß man die Glieder einer Reihe beliebig umsortieren darf, ohne das Konvergenzverhalten zu verändern. Dann gilt:
(umsortiert)
(0 addiert)
(umsortiert)
! (umsortiert und
addiert)
3. ist nicht konvergent. (Harmonische Reihe) Diese Reihe dient gleichzeitig als Beispiel dafür, daß eine konvergente Reihe nicht absolut konvergent sein muß. (vgl. Beispiel 1.)
Es sei Wir betrachten jetzt die -te Partialsumme
und bilden
(jeder dieser Summanden ist größer oder gleich )
für beliebiges
Dann gilt:
Die Teilfolge von ist also unbeschränkt, und somit ist nicht konvergent.
Da monoton wächst, ist bestimmt divergent gegen .
4. Ist alternierend und aber nicht monoton fallend, dann muß nicht konvergent sein.
Sei
Also
Wir betrachten
Summiert man in dieser endlichen Summe die mit ungeradem Index so erhält man
(vgl. Beispiel 3.)
Die Summe der mit geradem Indes ergibt
(vgl. geometrische Reihe)
(denn für ist , also ).
Damit erhalten wir insgesamt
Folglich ist eine unbeschränkte Teilfolge von und somit nicht konvergent.
5. Beispiel dafür, wie der junge Leibniz 1672 in Paris – er sollte dort seine „Rechenkünste“ unter Beweis stellen – mit falschen Hilfsmitteln den richtigen Wert einer Reihe berechnet hat (vgl. Wußing, H. und Wolfgang Arnold. Biographien bedeutender Mathematiker, Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin, 1975, S. 212).
Gegeben ist die Reihe
Man berechne den Wert der Reihe.
Ansatz von Leibniz:
Sei (harmonische Reihe; nicht konvergent!) und
Dann ist (nach Leibniz):
Folglich ist
und damit
Erstaunlicherweise stimmt der Wert. Die Methoden sind aber fehlerhaft, da mit divergenten Reihen so umgegangen wurde, als wären sie konvergent.
Es soll jetzt noch eine exakte Lösung gegeben werden. Es ist (nach Gauß 1777 – 1855)
Folglich ist
Es ist also
Also
Definition. (Minorante, Majorante) Es seien Reihen mit nicht-negativen Gliedern. heißt Minorante von und gleichzeitig heißt Majorante von =Df für alle
Satz 4.8 Majorantenkriterium Es seien Reihen mit nicht-negativen Gliedern, und es sei eine Majorante von Dann gilt Ist konvergent, so ist auch konvergent. Ist divergent, so ist auch divergent.
Beweis. Nach Voraussetzung gilt für alle . Folglich ist
Da monoton wächst, genügt zu zeigen, daß beschränkt ist.
Nach Voraussetzung ist konvergent, also auch beschränkt. Folglich ist auch beschränkt.
Kontraposition von
.
Bemerkung. In Satz 4.8 genügt es vorauszusetzen, daß für fast alle gilt.
Satz 4.9 Wurzelkriterium Es sei eine beliebige Folge. Dann gilt
Beweis. (1). Es sei und . ist eine konvergente Majorante von (geometrische Reihe). Folglich ist (nach dem Majorantenkriterium) konvergent, und damit ist absolut konvergent.
(2). Sei
Dann ist
und daher
keine Nullfolge.
Folglich ist
divergent.
Bemerkung. Für die Anwendung des Wurzelkriteriums genügt es, daß für fast alle . (Offenbar folgt aus sofort .) Ist andererseits beschränkt und so ist für fast alle folglich ist absolut konvergent.
Ist also so ist absolut konvergent. Analog erhält man: Wenn für fast alle , so ist divergent. Achtung: Für die Konvergenz von reicht es noch nicht, daß stets (bzw. ) ist; z.B. für ist , denn (bzw. Aber ist nicht konvergent. Wenn existiert, dann ist offenbar und man rechnet nur mit dem Limes.
Satz 4.10 Quotientenkriterium Es sei für jedes . Dann gilt
Existiert ein mit so daß für jedes gilt dann ist absolut konvergent.
Ist für jedes , dann ist divergent.
Beweis. (1). Sei Dann ist für alle folglich gilt
Damit ist eine konvergente Majorante von folglich ist absolut konvergent.
(2). Sei jetzt
für alle
Dann ist
und
(nach Voraussetzung).
Folglich ist
keine Nullfolge und
damit
divergent.
Bemerkung. Für die Anwendung des Quotientenkriteriums genügt es, daß für fast alle . Ähnlich wie beim Wurzelkriterium folgt aus die absolute Konvergenz von Ist andererseits dann ist divergent.
Beispiele. 1. Sei also Hier bietet sich das Wurzelkriterium an. Es ist
für fast alle z.B. leistet das Verlangte.
Benutzt man für dasselbe Beispiel das Quotientenkriterium, dann wird die Berechnung komplizierter. Es ist (vgl. auch Beispiel 3/1/35)
Wir wissen schon, daß also folglich ist
für fast alle (z.B. für
2. Wir betrachten die Reihe Hier bietet sich das Quotientenkriterium an, denn
für fast alle und z.B. Dasselbe Beispiel wird mit dem Wurzelkriterium komplizierter. Die Beispiele 1 und 2 zeigen, daß die untersuchten Reihen für alle fixierten Elemente konvergieren.
3. Wir betrachten jetzt die Reihe und zeigen, daß diese Reihe für gewisse Werte konvergiert und für andere Werte divergiert. Es sei zunächst Wir benutzen das Quotientenkriterium. Für und für fast alle gilt
Ist , so erhält man für die harmonische Reihe (diese ist divergent) und für eine konvergente alternierende Reihe. Es sei nun Dann ist keine Nullfolge, und somit nicht konvergent.
4. Wir betrachten Die Konvergenz dieser Reihe kann man weder mit dem Wurzel- noch mit dem Quotientenkriterium nachweisen (bitte ausprobieren!). Für eine geeignete konvergente Majorante könnte man das Majorantenkriterium heranziehen.
Es ist und die Reihe ist konvergent. Denn
Folglich ist , und somit ist eine konvergente Majorante von
Aus erhält man die Behauptung.
5. Wir betrachten jetzt ein Beispiel für eine Reihe, bei der das Quotientenkriterium versagt (das Wurzelkriterium ließe sich anwenden). Es sei
Folglich ist
Dann gilt für alle geraden und folglich
Die Reihe ist aber konvergent, denn es ist für gerade und damit
Für beliebige
ist
monoton wachsend und
beschränkt, also auch konvergent.
4.2 Assoziativität und Kommutativität bei Reihen
Definition. Es sei eine Reihe. entsteht aus durch das Setzen von Klammern =Df
Bemerkung. In der Ausgangsreihe werden gewisse aufeinanderfolgende Glieder durch Klammern zusammengefaßt.
Satz 4.11 In einer konvergenten Reihe können Klammern beliebig gesetzt werden, ohne das Konvergenzverhalten und den Wert der Reihe zu verändern. (D.h., für konvergente Reihen gilt das allgemeinste Assoziativgesetz.)
Beweis. Sei konvergent, und sei durch das Setzen von Klammern aus entstanden. Weiterhin sei und
Offenbar ist
eine Teilfolge von
Wegen
konvergiert auch
als Teilfolge von
gegen
also
Bemerkung. In einer beliebigen Reihe dürfen Klammern nicht immer gesetzt oder weggelassen werden, ohne das Konvergenzverhalten zu verändern.
Beispiel. ist konvergent. Weglassen der Klammern in der letzten Reihe liefert also eine divergente Reihe.
Geht man von der divergenten Reihe aus, dann dürfen hier nicht beliebig Klammern gesetzt werden, denn z.B. macht aus der ursprünglich divergenten Reihe eine konvergente.
Wir haben schon gezeigt, daß konvergente Reihen nicht beliebig umgeordnet werden dürfen (vgl. Beispiel 2 := 4/1/30/2). Mit Hilfe einer Definition sollen die Reihen hervorgehoben werden, bei denen dies erlaubt ist.
Definition. (unbedingte Konvergenz) Es sei eine Reihe und eine Bijektion (oder auch Permutation von IN). Dann ist durch Umordnung aus entstanden. heißt unbedingt konvergent =Df
Satz 4.12 Eine absolut konvergente Reihe konvergiert unbedingt und zwar immer gegen denselben Wert. (D.h., für absolut konvergente Reihen gilt das allgemeinste Kommutativgesetz.)
Beweis. Sei absolut konvergent, und eine Permutation von Behauptung: konvergiert gegen
z.z.: Für gibt es ein so daß für jedes gilt: Es sei
und
Nach Voraussetzung ist konvergent. Folglich gilt nach dem Cauchy–Kriterium: Es existiert ein so daß für jedes und jedes
Da beliebig ist, erhält man daraus für je endlich viele die sämtlich größer als sind:
Nach Voraussetzung gilt weiterhin: Es existiert ein so daß für jedes
Sei Da eine Permutation von ist, kommen unter den Elementen vor. Sei nun so groß gewählt, daß schon unter den Elementen vorkommen. g.z.z.: für gilt:
wobei insbesondere ist für
Dann ist
Satz 4.13 Umordnungssatz von Riemann Ist konvergent und nicht absolut konvergent, dann existiert für jedes bzw. für eine Umordnung von so daß
Beweis. Die Konvergenz von bewirkt, daß . Setzt man
dann ist offenbar
und
Da
nicht absolut konvergiert, sind die beiden Reihen
und
divergent.
Wären beide Reihen konvergent, so ist wegen
nach Satz 4.4 auch
konvergent. !
Wäre eine der beiden Reihen konvergent, etwa
und die
andere divergent, so erhält man wiederum nach Satz 4.4 aus
die Konvergenz von
; hieraus
ergibt sich erneut ein Widerspruch.
Da
und
stets nicht
negativ sind, divergieren beide Reihen bestimmt gegen
. Dies nutzen wir aus, um die Behauptung des
Umordnungssatzes zu beweisen.
Es sei zunächst und (den Fall behandelt man analog). Induktiv definiert man Folgen , deren Glieder aus je endlich vielen ausgewählten Summanden von bzw. bestehen. Wir geben hier nur an, wie man vom nullten zum ersten Folgenglied kommt, der eigentliche Induktionsschritt ist daraus klar ersichtlich.
1. Es seien , so daß
und
2. Für den nächsten Schritt seien , so daß
und
Bei jedem Schritt wird wenigstens ein Glied aus jeder der beiden Reihen und verbraucht.
Wir betrachten jetzt die folgende Umordnung der Ausgangsreihe (wobei die aufgrund der Definition von und „künstlich“ eingeführten Nullen ersatzlos gestrichen werden können, ohne das Konvergenzverhalten und den Wert der Reihe zu verändern):
und beweisen, daß .
Aus der Definition von folgt unmittelbar, daß stets
und .
Wegen ist .
Ist eine beliebige Partialsumme von , dann gibt es offenbar ein , so daß
oder .
Folglich ist .
Es sei jetzt (für verläuft der Beweis analog).
Wegen ist für fast alle . Es genügt eine Umordnung von anzugeben, die bestimmt gegen divergiert; die fehlenden Summanden können an den Anfang der Reihe gesetzt werden, ohne das Divergenzverhalten der Reihe zu beeinflussen. (Aus technischen Gründen werden auch hier wieder, wie im vorhergehenden Fall, Nullen eingefügt, die man ersatzlos streichen kann.)
Es ist .
Sei die kleinste natürliche Zahl, so daß
und die kleinste natürliche Zahl, so daß
usw.
Solche Zahlen gibt es, da bestimmt gegen divergiert.
Wegen für alle ist stets .
Die Umordnung
leistet das Verlangte. Denn ist eine beliebige Partialsumme von , dann gibt es offenbar ein maximales , so daß
oder
.
Wegen
ist
. Hieraus folgt schließlich
.
Satz 4.14 Multiplikation unendlicher Reihen Vorausseztungen
ist absolut konvergent, und es ist
Beweis. Wir zeigen zunächst, daß absolut konvergiert. g.z.z.: Die Folge der Partialsummen von ist nach oben beschränkt.
Nach Voraussetzung existiert für jedes genau ein Paar so daß also Wir bilden
Sei . Die Summanden aus kommen unter den Summanden aus vor, wobei Dann ist
Da nach Voraussetzung konvergieren, sind beschränkt. Folglich ist beschränkt und somit ist auch beschränkt. Hieraus ergibt sich die Konvergenz von und damit die absolute Konvergenz von
Behauptung:
Da absolut konvergiert, ist jede Umordnung von ebenfalls konvergent und zwar gegen den gleichen Wert. Wir betrachten eine spezielle Umordnung und Zusammenfassung bestimmter Summanden:
Es seien
und
Dann gilt für die oben angegebene Umordnung: Wegen gilt also
Bemerkung. Da bei absolut konvergenten Reihen die Reihenfolge der Glieder keine Rolle spielt, kann in der Produktreihe eine geeignete Reihenfolge ausgezeichnet werden. Dies führt zum sog. Cauchyprodukt.
Definition. (Cauchyprodukt) ist das Cauchyprodukt der Reihen und =Df
Es gilt also:
(für ).
Beispiel. Das Cauchyprodukt von absolut konvergenten Reihen ist wieder absolut konvergent. Es sei Dann ist absolut konvergent und Folglich ist
Also
Offenbar ist Folglich ist eine konvergente Majorante von Dann ist absolut konvergent, und damit gilt
Folglich ist
Auf diese Weise erhält man neue Beispiele für absolut konvergente Reihen.
Wir befassen uns jetzt noch kurz mit sogenannten Doppelreihen. Dazu sei
eine „unendliche Matrix“. Eine Matrix dieser Art nennen wir auch Doppelfolge. Die Doppelfolge konvergiert gegen , wenn für jedes ein existiert, so daß für alle gilt: . Bez.:
Es sei jetzt
.
Dann heißt (analog wie bei der Definition von Reihen) die Doppelfolge auch Doppelreihe. Bez.:
Die Doppelreihe konvergiert gegen , wenn gegen konvergiert. Bez.:
Es erhebt sich nun die Frage, ob man den Limes (falls er existiert) auch so berechnen kann, indem man zunächst die Zeilensummen bildet und anschließend die unendliche Summe der betrachtet (falls diese Reihen konvergieren; eine entsprechende Frage könnte auch für die Spaltensummen gestellt werden). Unter gewissen Voraussetzungen kann der Limes tatsächlich so bestimmt werden. Aufschluß darüber gibt der folgende Satz.
Satz 4.15 Großer Umordnungssatz Es sei eine Doppelreihe, eine Bijektion, und für sei . Weiterhin sei absolut konvergent und . Dann gilt
Jede Zeilenreihe konvergiert absolut.
Jede Spaltenreihe konvergiert absolut.
Beweis. Sei . Nach Voraussetzung konvergiert ; es sei . Wegen ist die Summe je endlich vieler stets . Damit erhält man
(1). für alle . Folglich ist absolut konvergent.
(2). Weiterhin ist für alle . Damit ist auch absolut konvergent.
(3). Es ist auch für alle . Nach Behauptung (1) existiert . Folglich ist
.
Weiterhin ist
.
Also gilt stets
.
Folglich ist absolut konvergent.
Analog zeigt man die absolute Konvergenz von .
Es sei nun . Dann existieren nach Voraussetzung bzw. nach den obigen Ausführungen natürliche Zahlen , so daß für alle und alle gilt:
und
.
Sei . In der Aufzählung kommen nur endlich viele Paare vor. Folglich existiert ein , so daß schon in der Menge auftreten.
Wählt man , dann ist
,
wobei eine endliche Summe ist, die aus gewissen Gliedern besteht, deren Indizes größer als sind.
Wegen folgt mit Hilfe der Dreiecksungleichung . Also erhält man für alle :
.
Für in erhält man
.
(Die Konvergenz der inneren Reihe ist schon nachgewiesen.)
Für entsteht
.
Wegen erhält man aus analog
.
Korollar. Es sei eine Doppelreihe, eine Bijektion, und für sei . Weiterhin sei jede Zeilenreihe absolut konvergent, , und die Reihe sei ebenfalls konvergent. Dann gilt
ist absolut konvergent.
Beweis. Es sei eine Partialsumme von . Dann gibt es eine Zahl , so daß alle Paare in der Menge vorkommen. Folglich ist
Dann ist die (monoton wachsende) Folge
der Partialsummen von
nach oben beschränkt und folglich
absolut konvergent. Damit sind alle Voraussetzungen von Satz 4.15 erfüllt
und das Korollar bewiesen.
4.3 Komplexe Zahlen
Wir führen jetzt die komplexen Zahlen ein, um sie für die Behandlung von sog. Potenzreihen zur Verfügung zu haben.
Wir setzen als bekannt voraus, daß einen zweidimensionalen Vektorraum mit den folgenden Operationen bildet:
(Addition von Elementen aus ),
(Multiplikation mit reellen Zahlen).
Zur geometrischen Veranschaulichung der komplexen Zahlen betrachten wir in die kanonische Basis und erhalten so ein rechtwinkliges Koordinatensystem für , mit dessen Hilfe sich die Elemente aus als Punkte in der Ebene darstellen lassen Gaußsche Zahlenebene.
Jedes läßt sich eindeutig als Linearkombination der Basis darstellen. Die folgenden Teilmengen und bilden wichtige eindimensionale Teilräume, die mit den entsprechenden Koordinatenachsen identifiziert werden können.
Wir führen jetzt eine Multiplikation von Paaren in ein. Es sei
Damit erhält man das folgende Resultat.
Satz 4.16 Mit den definierten Operationen Addition und Multiplikation von Paaren bildet einen Körper den Körper der komplexen Zahlen.
Beweis. Die Körperaxiome (1) – (4) (vgl. Eigenschaften reeller Zahlen) gelten schon, da als Vektorraum insbesondere eine additive abelsche Gruppe bildet mit als neutralem Element bez. und als inversem Element von . Es bleiben noch (5) – (10) zu beweisen, d.h., für alle gilt: (5) , (6) . (7) Es existiert ein Element so daß für jedes (8) Für jedes mit existiert ein so daß (9) , (10) .
Wir werden nicht alle diese Eigenschaften nachweisen.
Zu (6). Es sei und
und
(5) und (9) analog ! (7). leistet das Verlangte.
(8). Es sei oder und dies gilt gdw
Behauptung: leistet das Verlangte.
Für gilt:
(10).
trivial !
Bemerkung. Man kann mit komplexen Zahlen im Prinzip rechnen wie mit reellen Zahlen, allerdings ist in keine Ordnung definiert.
Wir haben uns schon überlegt, daß eine Basis für den Vektorraum bildet. Der Teilraum von ist offenbar isomorph mit (als 1-dimensionaler Vektorraum über ). Daher identifizieren wir in Zukunft mit Für schreibt man auch (nicht zu verwechseln mit natürlichen Zahlen ), so daß durch eine Basis für gegeben ist.
Mit dieser Vereinbarung gilt
Für bzw. für schreiben wir kurz bzw. Damit erhält man eine geeignete Darstellung für komplexe Zahlen:
Bez.: In heißt Realteil ( := Re() ) und Imaginärteil ( := Im() ) von
Bemerkung. Aus der Definition der Multiplikation für komplexe Zahlen ergibt sich
und weiterhin
Berechnet man das Produkt (formal) wie in einem Körper, so entsteht dasselbe Ergebnis:
Definition. (Betrag für komplexe Zahlen) Es sei
Bez.:
Satz 4.17 Für komplexe Zahlen
gilt
Beweis. (1). Sei Dann gilt
(2). Trivial !
(3). Sei Dann gilt
(4). Es genügt zu zeigen: denn
Wir wissen schon, daß für und gilt:
(5). Es sei Dann ist die linke Seite von (5):
und die rechte Seite ist:
Offenbar sind Folglich ist
Ist dann gilt offenbar die letzte Ungleichung und damit
Es sei jetzt dann ist
Damit gilt insgesamt
(6). Der Beweis hierzu erfolgt durch ähnliche
Überlegungen.
Bemerkung. Da die komplexen Zahlen einen Körper bilden, kann man mit ihnen entsprechend der Axiome I (1 – 10) rechnen (vgl. Kapitel 2, 2/1/1). Insbesondere lassen sich in analog wie in Folgen und Reihen bilden. Alle Definitionen und Sätze für Folgen und Reihen (mit reellen Zahlen), bei denen die Ordnung der Glieder keine Rolle spielt, gelten entsprechend auch für die komplexen Zahlen. Insbesondere hat man:
Definition. (Konvergenz) Es sei eine Folge von komplexen Zahlen und konvergiert gegen =Df Für jedes existiert ein so daß für jedes gilt:
Bez.: (oder ).
Satz 4.18 konvergiert gegen gdw und (Konvergenz in bedeutet also komponentenweise Konvergenz.)
Beweis. Es ist
Wenn und dann gilt: Für jedes existiert ein so daß für jedes
Folglich ist
also
(für fast alle )
Bemerkung. Für Reihen
mit komplexen Gliedern gelten insbesondere:
Einen wichtigen Spezialfall für Reihen bilden die sog. Potenzreihen.
Definition. (Potenzreihe) Es sei eine Folge von (reellen oder komplexen) Zahlen und seien ebenfalls reell oder komplex. Dann heißt Potenzreihe in mit den Koeffizienten
Achtung: Der Bequemlichkeit halber verabreden wir für Potenzreihen (und nur für Potenzreihen), daß stets ist, auch für
Es erhebt sich die Frage: Für welche (reellen oder komplexen) Zahlen ist die Potenzreihe für fixiertes konvergent?
Beispiele.
1. Es sei also
Diese Reihe konvergiert (nach dem Quotientenkriterium) für alle reellen oder komplexen
2. Sei also
Diese Reihe konvergiert für alle und divergiert für alle (man kann wieder das Quotientenkriterium benutzen). Der Fall muß gesondert untersucht werden. Offenbar ist aber keine Nullfolge, folglich ist die Reihe für divergent.
3. Sei also
Diese Reihe konvergiert für alle und divergiert für alle Für erhält man die harmonische Reihe, die bekanntlich nicht konvergiert, und für entsteht eine spezielle alternierende Reihe, die (nach dem Leibnizkriterium) konvergiert. Für komplexe mit und müßten gesonderte Untersuchungen durchgeführt werden.
4. Sei also
Diese Reihe konvergiert nur für
Bemerkung. Die Konvergenzgebiete der untersuchten Potenzreihen sind recht unterschiedlich. Die Reihe in dem ersten Beispiel konvergiert für alle Elemente in bzw. in (je nachdem, ob man nur reelle oder auch komplexe Zahlen zuläßt). In dem zweiten Beispiel konvergiert die Reihe in dem offenen Intervall und divergiert außerhalb (im reellen Fall) bzw. sie konvergiert in der offenen Kreisscheibe , und sie divergiert außerhalb (im komplexen Fall). Das dritte Beispiel zeigt, daß es auf dem Rand des Konvergenzgebietes einer Potenzreihe (d.h. in den Endpunkten des Intervalls bzw. auf der Kreislinie) Punkte geben kann, wo die Reihen konvergieren bzw. divergieren. Im vierten Beispiel ist eine Reihe gegeben, deren Konvergenzgebiet auf einen Punkt zusammenschrumpft. In den betrachteten Beispielen, konvergieren die Potenzreihen stets innerhalb eines offenen Intervalls bzw. Kreises und sie divergieren außerhalb; auf dem Rande ist beides möglich. (Kreise bzw. Intervalle dürfen auch ausarten zu ganz bzw. oder zu einem Punkt.)
Wir wollen jetzt untersuchen, ob dies für alle Potenzreihen immer der Fall ist. Dazu formulieren wir zunächst eine Definition.
Definition. (Konvergenzradius) Es sei eine nicht-negative reelle Zahl oder heißt Konvergenzradius von =Df
Wir werden nun zeigen, daß Potenzreihen tatsächlich immer innerhalb eines Intervalls bzw. Kreises konvergieren und außerhalb divergieren (der Radius des Kreises erweist sich als Konvergenzradius).
Bemerkung. Im folgenden betrachten wir Potenzreihen in Wegen gelten die Resultate auch für falls die Koeffizienten und in liegen.
Satz 4.19 Es seien .
Ist an einer Stelle konvergent, dann ist für alle mit absolut konvergent.
Ist an einer Stelle divergent, dann ist für alle mit divergent.
Beweis. (1). Ist dann existiert kein mit Damit ist die Behauptung trivialerweise erfüllt. Es sei jetzt . Nach Voraussetzung ist die Reihe in konvergent. Folglich ist eine Nullfolge, und somit ist für fast alle Sei jetzt beliebig aber fixiert mit der Eigenschaft . Dann gilt
Hieraus konstruieren wir eine konvergente Majorante für Es ist
und
ist als geometrische Reihe für konvergent, folglich ist eine konvergente Majorante von Daher ist absolut konvergent für
(2). Sei
und
divergent. Wäre
konvergent, dann wäre
nach (1) absolut konvergent.
!
Satz 4.20 Jede Potenzreihe besitzt einen Konvergenzradius , der auch 0 oder sein kann.
Beweis. Sei eine beliebige Potenzreihe. 1. Fall: Die Reihe konvergiert nur für Dann ist 2. Fall: Die Reihe konvergiert für alle Dann konvergiert die Reihe absolut für alle (nach Satz 4.19). Folglich ist 3. Fall: konvergiert für ein und divergiert für ein (vgl. Abb. 4.2).
Es sei
es gibt ein so daß und konvergiert
Dann ist denn Es sei Nach Voraussetzung ist divergent. Folglich gilt (nach Satz 4.19(2)): Wenn so ist Dann ist nach oben beschränkt (z.B. durch ), besitzt also ein Supremum; es sei
Behauptung: ist der Konvergenzradius von
z.z.:
Zu 1. Sei Dann existiert (nach Definition des Supremums) ein so daß und Nach Definition von existiert ein so daß und konvergiert. Wegen ist dann (nach Satz 4.19(1)) absolut konvergent.
Zu 2. Sei
Wäre
konvergent, so wäre
und
folglich wäre
nicht
!
Bemerkung. Die offene Kreisscheibe in mit dem Mittelpunkt und dem Radius (bzw. das offene Intervall in mit dem Mittelpunkt und der Länge ) heißt Konvergenzgebiet oder Konvergenzkreis (bzw. Konvergenzintervall ) und heißt Mittelpunkt der Potenzreihe Innerhalb dieser offenen Kreisscheibe (bzw. des offenen Intervalls) konvergiert die Potenzreihe absolut, außerhalb divergiert sie; auf dem Rande kann sowohl Konvergenz als auch Divergenz vorliegen (man betrachte das Beispiel für ).
Satz 4.21 Es sei eine Potenzreihe mit dem Konvergenzradius und es sei Dann gilt
Wenn so .
Wenn so
Wenn so
Beweis. Übungsaufgabe !
Bemerkung. Da einer der drei Fälle immer auftritt, kann man auf diese Weise den Konvergenzradius bestimmen. Zur Übung untersuche man noch einmal die letzten Beispiele 1. – 4. Existieren bzw. oder haben sie den uneigentlichen Grenzwert , dann ist bzw. (in Satz 4.21). Dies kann bei der Bestimmung des Konvergenzradius genutzt werden.
4.5 Rechnen mit Potenzreihen
Satz 4.22 Summe von Potenzreihen
Es seien und Potenzreihen mit den Konvergenzradien bzw. und seien reelle oder komplexe Zahlen. Dann gilt
Beweis. Der Beweis erfolgt
sehr leicht mit Hilfe der Sätze über Folgen (von
Partialsummen) und über Reihen.
Satz 4.23 Produkt von Potenzreihen Es seien und Potenzreihen mit den Konvergenzradien bzw. und es sei Dann gilt
Beweis. Für konvergieren beide Potenzreihen absolut; folglich läßt sich ihr Cauchyprodukt bilden (vgl. Satz 4.14), das auch wenigstens dort absolut konvergiert. Also und
Für
konvergiert
absolut (vgl. Satz 4.14).
Satz 4.24 Umordnen von Potenzreihen Voraussetzungen
Es sei eine Potenzreihe mit dem Konvergenzradius
Weiterhin sei und
Behauptung
Es gibt eine Potenzreihe mit einem Konvergenzradius so daß für jedes mit gilt
wobei
(Bez.: entsteht aus durch Umordnung nach Potenzen von .)
Beweis. Zum Beweis benutzen wir das Korollar zum Großen Umordnungssatz.
Für alle mit gilt stets
(wegen für )
Folglich ist
.
Da Potenzreihen innerhalb ihres Konvergenzgebietes absolut konvergieren und nach Voraussetzung stets ist, konvergiert absolut. Damit sind die Voraussetzungen für das Korollar erfüllt. Folglich gilt:
(nach dem Korollar)
; ( für )
.
Satz 4.25 Identitätssatz für Potenzreihen Voraussetzungen
Beweis. Zum Beweis des Satzes benötigen wir zunächst einen Hilfssatz.
Lemma. Es sei eine Potenzreihe mit dem Konvergenzradius , und sei eine Folge mit und Dann ist
Beweis. Nach Voraussetzung ist Wegen existiert ein so daß für alle gilt: Da Potenzreihen innerhalb ihres Konvergenzkreises absolut konvergieren, ist konvergent. Damit ist offenbar auch konvergent. Sei Für existiert ein so daß für alle gilt: Ist und dann ist
Also
Wir setzen nun den Beweis von Satz 4.25 fort.
Es sei g.z.z.: für jedes Für alle mit gilt nach Voraussetzung:
Wir zeigen jetzt induktiv, daß für alle
1. Es ist
2. Es gelte schon
3. Behauptung:
Es ist
Aus folgt
Analog wie für
gilt hier auch
Bemerkung. Als Folgerung erhält man sofort: Stimmen zwei Potenzreihen in einem „kleinen Intervall“ überein, dann sind sie schon identisch. Es sei hier ein Ausblick auf eine spätere wichtige Anwendung des Lemmas gegeben. Mit Potenzreihen lassen sich auf einfache Weise Funktionen definieren: , wobei dann im Konvergenzgebiet der Potenzreihe definiert ist. Es gilt offenbar und aus dem Lemma erhält man: Wenn so Hieraus folgt, daß die Funktion wenigstens an der Stelle stetig ist (dieser Begriff ist natürlich noch zu definieren). Aus der Stetigkeit an einer Stelle folgt bei einigen wichtigen Funktionen schon die Stetigkeit im gesamten Definitionsbereich (z.B. für die Sinusfunktion und die Exponentialfunktion, mit deren Hilfe sich weitere elementare Funktionen definieren lassen).
In den späteren Kapiteln werden wir uns noch ausführlicher mit weiteren Eigenschaften von Funktionenfolgen und -reihen befassen, insbesondere werden wir Untersuchungen zur Stetigkeit, Differenzierbarkeit und Integrierbarkeit der Grenzfunktion bei gleichmäßiger konvergenz vornehmen.
Schwerpunkte für die Wiederholung von Kapitel 4