Der Begriff der Ableitung (oder des Differentialquotienten) ist aus geometrisch-physikalischen Fragestellungen entstanden, insbesondere aus dem Tangentenproblem und dem Geschwindigkeitsproblem.
Tangentenproblem
Gegeben ist eine ebene Kurve und ein Punkt auf dieser Kurve. Gesucht ist die Gleichung der Tangente (falls existent) an der Kurve in diesem Punkt (vgl. Abb. 7.1).
Im einfachsten Fall sei die Kurve mit Hilfe der Funktion gegeben. Dann ist der Anstieg der Sekante durch die Punkte als Quotient
definiert.
Wenn (d.h. ), dann „dreht“ sich die Sekante und nimmt „im Grenzfall“ die Lage der „Tangente“ ein (falls die Eigenschaften der Funktion „hinreichend gutartig“ sind).
Geschwindigkeitsproblem
Ein Massepunkt bewege sich (mit variabler Geschwindigkeit) entlang einer gegebenen Bahn. Gesucht ist die „Augenblicksgeschwindigkeit“ des Punktes zu einem bestimmten Zeitpunkt .
Die Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen zwei Bahnpunkten berechnet sich als Quotient der zurückgelegten Strecke und der dazu benötigten Zeit :
wobei die zurückgelegte Strecke und die gemessene Zeitdifferenz bedeuten.
Durch Verkleinerung der Meßstrecke nähert man sich der sog. Augenblicksgeschwindigkeit an, die für entsteht.
Mathematisch gesehen ergibt sich in beiden Fällen das gleiche Problem, nämlich den Grenzwert eines bestimmten Quotienten auszuwerten. Die Mathematik abstrahierte von den konkreten Problemen und entwickelte hierzu eine leistungsfähige Theorie, die Differentialrechnung.
Wir betrachten in diesem Abschnitt nur Funktionen
Definition. (Differenzenquotient) Sei in einer Umgebung definiert. Die Funktion mit und heißt Differenzenquotient von in
Bez.
Dann ist
Definition. (Differenzierbarkeit, Ableitung, Differentialquotient) ist an der Stelle (oder kurz in ) differenzierbar =Df
Bez.
Definition. Sei und differenzierbar in jedem Punkt ist die 1. Ableitung von in =Df
Definition. (rechtsseitige bzw. linksseitige Differenzierbarkeit) ist in rechtsseitig bzw. linksseitig differenzierbar =Df
Bemerkung. Sei eine Funktion. Wenn an der durch gegebenen Kurve eine Tangente im Punkt existiert (dies wird der Fall sein, wenn in differenzierbar ist), dann ist der Anstieg der Tangente an der Stelle durch gegeben.
Wir wollen jetzt die Gleichung der Tangente bestimmen. Zunächst gehen wir von der Geradengleichung aus und berechnen und Der Anstieg der Tangente ist durch gegeben. Die Tangente soll durch den Punkt verlaufen. Folglich ist
Definition. (Tangente) Es sei in differenzierbar. Die durch die Gleichung bestimmte Gerade heißt Tangente von an der Stelle (oder im Punkt ), und die entsprechende Gleichung heißt auch Gleichung der Tangente. (vgl. Abb. 7.1)
Beispiele.
1.
Man überlegt sich leicht, daß für jedes differenzierbar und ist.
2.
Der Differenzenquotient an einer beliebigen Stelle ist
Folglich ist für jedes
3.
Behauptung: für jedes
Sei und Dann gilt
Folglich ist
Die Gleichung der Tangente berechnet sich wie folgt:
Speziell für ergibt sich dann
(vgl. Abb. 7.3)
4. Es sei
Behauptung: ist in nicht differenzierbar.
Angenommen, es existiert
dann liefert für jede Nullfolge mit den gleichen Grenzwert.
(a) Es gelte zunächst und . Dann ist und damit
(b) Es gelte jetzt
und
.
Dann ist
und damit
!
Offenbar existieren rechtsseitiger und linksseitiger Grenzwert des Differenzenquotienten, aber beide sind verschieden.
5. Es sei
Behauptung: für alle
Sei und Dann ist
für
g.z.z.:
Es ist
Diese Reihe ist für alle absolut konvergent. Nach dem Lemma zum Identitätssatz für Potenzreihen (Kapitel 4, 4/5/7/2 ) sind Potenzreihen in ihrem Mittelpunkt stetig. Der Mittelpunkt ist hier 0, folglich gilt für jede Folge
Also
6. Es sei .
Behauptung:
Sei und Dann ist
für
Für gilt und umgekehrt.
ist stetig, folglich ist
g.z.z.:
Es ist
Analog wie im 5. Beispiel ist diese Potenzreihe ebenfalls in ihrem Mittelpunkt 0 stetig. Folglich ist
Also
Bemerkung. Bei der Definition der Differenzierbarkeit sind wir vom Differenzenquotienten ausgegangen und haben dessen Limes gebildet. Dieses Herangehen funktioniert in recht gut, es läßt sich so aber nicht auf Funktionen mehrerer Veränderlicher übertragen, da z.B. in eine solche Division nicht erklärt ist. Daher werden wir jetzt eine gleichwertige Definition der Differenzierbarkeit aufstellen, die sich auch auf Funktionen mehrerer Veränderlicher übertragen läßt. Hierbei wird gleichzeitig das „Wesen der Differenzierbarkeit“ herausgearbeitet.
Sei und Ist in differenzierbar, dann existiert bekanntlich der Grenzwert:
folglich gibt es eine Funktion so daß und
Damit haben wir folgende Information:
Ist in differenzierbar, dann gibt es eine reelle Zahl und eine Funktion mit so daß sich die Funktion in einer Umgebung von darstellen läßt in der Form:
Offenbar ist ebenfalls eine Funktion, so daß
(In diesem Zusammenhang sagen wir auch, daß mit von höherer als erster Ordnung gegen null strebt.)
Umgekehrt gelte nun folgendes:
Die Funktion sei in einer Umgebung definiert, und es gebe eine Konstante und eine Funktion , so daß für alle gilt:
wobei
Für gilt dann
wobei
Offenbar ist
Folglich existiert
d.h., ist an der Stelle differenzierbar und . Hieraus ergibt sich sofort, daß das nach Voraussetzung existierende schon eindeutig bestimmt ist.
Definition. (eine weitere Definition der Differenzierbarkeit) ist in differenzierbar =Df
Bemerkung. Das Wesen dieser Definition besteht darin, daß wir die Funktion als lineare Funktion plus einem Rest dargestellt haben, wobei der Rest für „kleine“ selbst „klein“ wird, dies bedeutet eben Hierfür sagen wir auch:
Die Funktion läßt sich in linear approximieren.
Differenzierbarkeit einer Funktion in bedeutet also nichts anderes, als in einer Umgebung durch eine lineare Funktion hinreichend gut approximieren zu können. Das ist das Wesen der Differenzierbarkeit, und dies läßt sich auch auf Funktionen mehrerer Veränderlicher übertragen. Davon werden wir im nächsten Kapitel noch Gebrauch machen. (vgl. auch Abb. 7.5)
Satz 7.1 Ist in differenzierbar, dann ist in stetig.
Beweis. g.z.z.:
Für ist Nach Voraussetzung ist folglich gilt
Damit erhält man
Bemerkung. Aus der Differenzierbarkeit folgt also die Stetigkeit; die Umkehrung gilt im allgemeinen nicht. Eine differenzierbare Funktion, deren Ableitung stetig ist, heißt stetig differenzierbar.
Satz 7.2 Summenregel Sind in differenzierbar, dann ist in differenzierbar, und es ist (oder kurz .
Beweis. Es ist
Satz 7.3 Produktregel Sind in differenzierbar, dann ist in differenzierbar, und es ist (oder kurz .
Beweis. Es ist
Satz 7.4 Ist in differenzierbar und dann ist in differenzierbar, und es ist
Beweis. Es ist
Korollar. (Quotientenregel ) Sind in differenzierbar und ist dann ist in differenzierbar, und es ist oder kurz .
Beweis. (mit Hilfe von Satz 7.4 und der Produktregel)
Es ist folglich gilt
Satz 7.5 Kettenregel Ist in und in differenzierbar, dann ist in differenzierbar, und es ist („äußere Ableitung mal innere Ableitung“).
Beweis. Es sei dann ist nach Voraussetzung in differenzierbar. Folglich existiert und für ist
Wir definieren jetzt eine für den Beweis nützliche Hilfsfunktion:
Dann ist in stetig, denn Damit gilt für alle in einer Umgebung :
Weiterhin sei und Dann ist und damit ist in stetig. Folglich gilt
Ersetzt man in durch dann erhält man
Es ist
denn ist in differenzierbar. Weiterhin sind und in stetig, folglich gilt
Insgesamt erhält man
Satz 7.6 Ableitung der Umkehrfunktion Ist in einer Umgebung von stetig und streng monoton, und ist in differenzierbar und dann ist in differenzierbar, und es ist
Beweis. Nach Satz 5.8 ist in einer Umgebung von stetig. Für ist ; insbesondere ist Dann gilt
Wenn also so gilt wegen der Stetigkeit von in
also
Es gilt auch umgekehrt: Wenn so Also Folglich existiert
und es ist
Beispiele.
1. Es sei differenzierbar und
Dann ist auch differenzierbar und
2. Dann gilt
für
3.
ist die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion zur Basis . Folglich gilt
und damit
4.
Es ist
Definition. (höhere Ableitungen) Sei in differenzierbar und die 1. Ableitung von in ist in zweimal differenzierbar =Df
Bez.
Satz 7.7 Sind und in -mal differenzierbar, dann sind und in -mal differenzierbar, und es ist und
Beweis. Übungsaufgabe ! (Man führt
den Beweis leicht induktiv über
).
7.2 Mittelwertsätze; der Satz von Taylor
Satz 7.8 Satz von Rolle Ist und in stetig und in differenzierbar und ist dann existiert ein , so daß
Beweis.
Fall 1. ist konstant. Dann ist sogar für jedes .
Fall 2. ist nicht konstant.
Da in stetig ist, besitzt dort ein Maximum und ein Minimum. Wenigstens eins von beiden wird im Inneren des Intervalls angenommen, da sonst konstant ist. Es werde o.B.d.A. das Minimum an einer Stelle angenommen, d.h., für jedes
Behauptung:
Nach Voraussetzung existiert
folglich existieren auch rechtsseitiger und linksseitiger Grenzwert des Differenzenquotienten und beide sind gleich
Für also , ist und somit
Es sei nun . Folglich ist , also und damit
Insgesamt erhält man
Satz 7.9 1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung Ist und in stetig und in differenzierbar, dann gibt es ein so daß
Beweis. (Der Beweis erfolgt mit Hilfe des Satzes von Rolle.)
Wir betrachten die folgende Hilfsfunktion, auf die wir den Satz von Rolle anwenden werden:
(Von wird eine lineare Funktion subtrahiert, die den gleichen Anstieg besitzt, wie die Sekante durch die Punkte und .)
Offenbar ist in stetig und in differenzierbar, und es gilt
Für die Funktion existiert dann nach dem Satz von Rolle ein Element so daß
Korollar. Ist ein Intervall in , in differenzierbar, und ist für jedes , dann ist in konstant.
Beweis. g.z.z.: Wenn so
Sei o.B.d.A. Nach Voraussetzung ist in differenzierbar, folglich ist auch in differenzierbar und stetig. Nach dem 1. Mittelwertsatz gibt es dann ein so daß
Wegen
ist
und somit
Satz 7.10 2. Mittelwertsatz der Differentialrechnung Ist und sind und in stetig und in differenzierbar und ist für jedes , dann gibt es ein so daß (Das bedeutet, daß der Quotient des Anstiegs der Sekanten beider Funktionen in dem Intervall gleich dem Quotienten des Anstiegs der Tangenten an einer geeigneten Zwischenstelle ist.)
Beweis. Es ist
anderenfalls gäbe es nach dem Satz von Rolle ein
so daß
!
Ähnlich wie im Beweis des 1. Mittelwertsatzes betrachten wir eine Hilfsfunktion
Offensichtlich ist in stetig und in differenzierbar (denn und haben diese Eigenschaften), und es ist
und
Also Folglich läßt sich auf der Satz von Rolle anwenden; d.h., es gibt ein mit Wir bilden die Ableitung von an der Stelle :
Als eine wichtige Anwendung dieses Satzes erhält man die sog. Taylorsche Formel.
Satz 7.11 Satz von Taylor Sei ein Intervall und . Ist in -mal differenzierbar, dann gibt es für jedes ein mit so daß
wobei
heißt Lagrange’sches Restglied, heißt Taylorpolynom, wobei , und heißt Taylorsche Formel.
Beweis. Wir betrachten die folgende Hilfsfunktion
Offenbar ist in -mal differenzierbar, denn hat diese Eigenschaft, und ist ein Polynom. Induktiv zeigt man leicht
und .
Der Anfangsschritt ist trivial.
usw.
Da Polynome -ten Grades bei -maliger Differentiation zu null werden, erhält man
sei eine weitere Hilfsfunktion mit
und
für jedes und
falls und
Wir wenden den 2. Mittelwertsatz mehrmals an. Für und o.B.d.A. gilt dann
(denn )
für ein
(denn )
für ein
für ein
(denn )
für ein .
Hieraus erhält man insgesamt
und
es gibt ein mit so daß
Folglich ist
und nach Definition gilt
Hieraus erhält man sofort die Behauptung.
Bemerkung. Für liefert der Taylor’sche Satz als Spezialfall den 1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung.
Korollar. Es sei ein Intervall mit , sei in beliebig oft differenzierbar, und für jedes sei , wobei das Taylorpolynom und das Lagrange’sche Restglied in der Taylorschen Formel ist (siehe Satz 7.11). Wenn für jedes , dann konvergiert die Folge der Partialsummen der Reihe gegen . (Unter den angegebenen Voraussetzungen läßt sich in eine sog. Taylorreihe entwickeln, d.h.,
)
Beweis. Nach der Taylorschen Formel gilt für jedes und für jedes :
Folglich gilt
und da die Folge der Partialsummen von ist, erhält man
Bemerkung. heißt Taylorreihe von in .
Für heißt die Reihe auch Mac Laurin’sche Reihe.
Die Taylorreihe von läßt sich (formal) schon immer dann bilden, wenn in beliebig oft differenzierbar ist. Aber nur wenn auch gilt, dann stellt die Taylorreihe die Funktion dar.
Wir betrachten jetzt ein Beispiel, in dem beliebig oft differenzierbar ist, aber
Beispiele.
1. Es sei
Man kann leicht zeigen, daß in einer Umgebung von beliebig oft differenzierbar ist. (Induktiv beweist man, daß die -te Ableitung für immer die Gestalt hat, wobei eine rationale Funktion ist, und die -te Ableitung für existiert und ist.)
Folglich gilt stets , und damit
2. Es sei und
Dann ist offenbar in für jedes -mal differenzierbar. Nach dem Satz von Taylor erhält man für :
wobei
Folglich ist
ist in beschränkt, denn Weiterhin ist für jedes , und es ist
Ist gegeben, dann existiert ein so daß für jedes gilt:
Folglich gilt
für hinreichend große Damit läßt sich die Exponentialfunktion in einem gegebenen Intervall (und somit auch in jedem Intervall ) durch ein Polynom mit vorgegebener Genauigkeit approximieren. (Die komplizierteste Aufgabe bei derartigen Approximationen besteht meistens in der Abschätzung des Restgliedes.)
Insbesondere erhält man für
und
d.h., kann mit beliebiger Genauigkeit berechnet werden.
Nach dem Korollar gilt für die Exponentialfunktion
wodurch die Definition dieser Funktion als Reihe
nachträglich gerechtfertigt ist.
7.3 Anwendungen der Differentialrechnung; Grenzwerte für Quotienten von Funktionen
Satz 7.12 Regel von de l’Hospital für „“ Voraussetzung
Behauptung
Existiert dann existiert und es ist
Beweis. (Der Beweis erfolgt mit Hilfe des 2. Mittelwertsatzes.) Es sei Dann gibt es für jedes ein so daß für jedes mit gilt:
z.z.: Für jedes gibt es ein so daß für jedes mit gilt:
Zunächst gilt: für jedes
Angenommen, es existiert ein
mit
Dann gibt es nach dem Satz von Rolle ein
so daß
!
Sei jetzt und entsprechend der Existenz von gewählt. Nach dem 2. Mittelwertsatz der Differentialrechnung gilt dann für :
für ein
mit
Korollar 1.
Voraussetzung Sei und seien in differenzierbar.
Sei und für jedes
Behauptung
Existiert dann existiert und es ist
Beweisidee. Es werden Hilfsfunktionen und definiert:
Man überlegt sich leicht, daß
und
in
differenzierbar und in
(rechtsseitig) stetig sind. Dann läßt sich die Regel von de l’Hospital auf
an der Stelle
anwenden. Daraus erhält man die Behauptung.
Korollar 2. (Regel von de l’Hospital für „ “ ) Voraussetzung
Sei und seien in differenzierbar.
Sei und für jedes Behauptung
Existiert dann existiert und es ist
Beweis. Wir zeigen
zunächst, daß
in
stets positiv oder
stets negativ ist.
Angenommen, es gibt Elemente
in
, so daß
(den
Fall
beweist
man analog). Da
in
differenzierbar ist,
ist
in
stetig und besitzt dort
ein Minimum und ein Maximum. Wenigstens eins von beiden liegt im Inneren
der Intervalls. Sei
eine Extremstelle von
in
. Dann ist
(siehe Beweis des Satzes von
Rolle). !
Da
in
das Vorzeichen nicht
wechselt, ist
dort streng monoton (dies folgt sofort aus Satz 7.9).
Wegen
ist
in
streng monoton fallend
und in einer hinreichend kleinen rechtsseitigen Umgebung von
positiv.
Mit diesen Informationen beweisen wir nun die Behauptung. Sei . Nach Voraussetzung existiert Folglich gibt es nach Definition des Limes ein , so daß
für alle .
Wir wählen jetzt so nahe bei , daß in positiv ist. Nach dem 2. Mittelwertsatz der Differentialrechnung gibt es für jedes mit ein , so daß
Dann gilt für jedes feste und jedes :
Weiterhin ist
(() kann durch ausrechnen bewiesen werden.)
Wegen ist und somit Damit erhält man
( fest konstant)
Wegen ist Folglich existiert ein mit , so daß für jedes gilt: Hieraus folgt schließlich für alle :
Bemerkung. Der Beweis läßt sich nicht unmittelbar auf den Fall „ “ zurückführen, denn differenziert man in Zähler und Nenner, dann kommen in der jeweiligen Ableitung bzw. vor, und über das Grenzverhalten des entsprechenden Quotienten dieser Funktionen weiß man nicht Bescheid.
Satz 7.12 und die Korollare 1 und 2 können analog auf die folgenden Fälle übertragen werden:
Häufig läßt sich der Grenzwert leichter bestimmen als Daher sind die oben angegebenen Regeln oft sehr hilfreich bei der Berechnung solcher Limites.
Einen Ausdruck der Form „ “ kann man in eine der Formen „ “ oder „ “ überführen. Denn wenn und so ist
falls diese Limites existieren.
Ausdrücke der Form „ “, „ “ und „ “ lassen sich auf die vorhergehenden Fälle zurückführen, indem man die Definition der Potenzfunktion mit Hilfe des natürlichen Logarithmus ausnutzt:
Wenn so
wenn so
wenn so
Man versucht zunächst, den Grenzwert des Exponenten in zu bestimmen. Mit diesem Wert erhält man dann wegen der Stetigkeit der Exponentialfunktion den Grenzwert von .
Beispiele.
1. Es sei und
Man berechne
Es ist
Also
2. Es sei und
Man berechne
Es ist
Den Grenzwert dieses Quotienten kann man noch nicht unmittelbar auswerten, da Zähler und Nenner wieder gegen null streben. Daher versuchen wir, die Regel auf den neu entstandenen Quotienten noch einmal anzuwenden, da er die Voraussetzungen der Regel von de l’Hospital erfüllt.
Also
Achtung! Die Regeln dürfen nicht „formal“ angewendet werden, man hat immer zu überprüfen, ob die Voraussetzungen zur Anwendung einer Regel erfüllt sind. Betrachtet man z.B. die Funktionen und und geht man formal vor bei der Bestimmung des Grenzwertes dann berechnet man zunächst die Ableitungen der Zähler- und Nennerfunktion und erhält und Der Nenner strebt wieder gegen null, aber nicht der Zähler. Wenn man jetzt die Regel abermals (aber falsch) anwendet, also Zähler- und Nennerfunktion noch einmal differenziert, dann erhält man und . Damit existiert aber da die Voraussetzungen für nicht erfüllt waren, gilt nicht
3. Es sei und
Man berechne
Nach Definition gilt
Wir versuchen zunächst, den Grenzwert des Exponenten zu bestimmen. Es ist
Für streben in dem letzten Bruch Zähler und Nenner gegen . Damit sind die Voraussetzungen für eine der de l’Hospitalschen Regeln erfüllt.
Zähler- und Nennerfunktion differenziert ergeben
Also
und damit
Bemerkung. Die Grenzwerte und ließen sich auch mit Hilfe der Regeln von de l’Hospital bestimmen, aber um bzw. überhaupt differenzieren zu können, benötigt man zuvor schon diese Limites.
Kurvendiskussion
Bei der Kurvendiskussion geht es darum, mit Hilfe der Differentialrechnung wichtige Informationen über eine Funktion zu erhalten, die einerseits besonders interessante Stellen und andererseits den globalen Verlauf der entsprechenden Kurve betreffen.
Hierzu sollte man zunächst den Definitionsbereich bestimmen und die Nullstellen der Funktion berechnen (falls dies möglich ist).
(a) Monotonie
Satz 7.13 Es sei und in differenzierbar. Dann gilt
Beweis. Sei in monoton wachsend und
z.z.:
Für ist , und für ist Also für alle ist
Für jedes gelte:
z.z.: Wenn und so
Nach dem 1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung gilt:
für ein geeignetes . Nach Voraussetzung ist und somit denn
Sei in streng monoton wachsend. Dann ist monoton wachsend, also für jedes . Gäbe es ein Teilintervall mit , so daß dort null ist, dann wäre in konstant und damit nicht streng monoton (vgl. Korollar zu Satz 7.9).
Wegen
in
ist
monoton wachsend. Wäre
nicht streng monoton wachsend in
,
dann gäbe es ein Teilintervall
, so daß
in
konstant ist. Also
für jedes
. !
Bemerkung. Die Behauptungen gelten völlig analog auch für monoton fallend (bzw. streng monoton fallend).
(b) Konvexität
Definition. (konvex) Sei und in differenzierbar. (1)
Satz 7.14 Sei und in differenzierbar. Dann gilt ist in konvex bzw. streng konvex von unten gdw in monoton bzw. streng monoton wächst. Der Satz gilt analog für „von oben“ und „monoton fallend“.
Beweis. Sei in konvex von unten und seien mit .
z.z.: .
Nach Definition der Konvexität gilt:
und
Hieraus folgt sofort die Behauptung.
Sei in monoton wachsend und , und o.B.d.A. sei (den Fall beweist man analog).
Nach dem 1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung gibt es ein mit , so daß
Da in monoton wächst, gilt
und damit ist
Den verbleibenden Teil der Behauptung: „streng konvex“
und „streng monoton“ zeigt man sehr leicht durch ähnliche Überlegungen wie
im Beweis von Satz 7.13.
Korollar. Sei und in zweimal differenzierbar.
Beweis. Mit Hilfe der Sätze 7.13 und 7.14 erhält man sofort
ist in konvex von unten gdw
in monoton wächst gdw
für jedes .
ist in streng konvex von unten gdw
in streng monoton wächst gdw
für jedes , und es gibt kein Teilintervall mit , so daß für alle .
zeigt man analog.
(c) Lokale oder relative Extrema
Definition. (lokales Extremum) Sei in definiert und . besitzt an der Stelle (oder kurz in ) ein lokales oder relatives Extremum lokales Maximum bzw. lokales Minimum =Df
Bemerkung. Für differenzierbare Funktionen können die Ergebnisse der Differentialrechnung ausgenutzt werden, um lokale Extrema zu bestimmen.
Satz 7.15 Notwendige Bedingung für die Existenz eines lokalen Extremums
Sei in differenzierbar und . Besitzt in ein lokales Extremum, dann ist
Beweis. Sei ein lokales Minimum von in (für ein lokales Maximum verläuft der Beweis analog).
Dann existiert eine Umgebung , so daß für jedes mit gilt:
für
und
für
Da in differenzierbar ist, existiert der Grenzwert des Differenzenquotienten an der Stelle , und er ist Folglich existieren auch rechts- und linksseitiger Grenzwert dieses Differenzenquotienten und beide Grenzwerte sind gleich . Also
und
Damit gilt insgesamt
Bemerkung. Ist in differenzierbar und dann heißt auch kritischer oder stationärer Punkt von . Aus der Kontraposition von Satz 7.15 folgt sofort, daß höchstens an den kritischen Stellen ein lokales Extremum besitzen kann. Nur diese Stellen müssen untersucht werden, um alle lokalen Extrema aufzuspüren.
Satz 7.16 Hinreichende Bedingung für die Existenz eines lokalen Extremums Sei in zweimal differenzierbar und . Ist und bzw. , dann besitzt in ein lokales Minimum bzw. ein lokales Maximum.
Beweis. Sei (den Fall beweist man analog).
Dann gilt nach der Definition der Differenzierbarkeit von in
Nach den Eigenschaften des Grenzwertes gibt es eine Umgebung , so daß
für alle .
Wegen gilt also für alle
Folglich haben und in stets das gleiche Vorzeichen.
Wenn also so und wenn so
Nach dem 1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung gilt
wobei zwischen und liegt, also bzw. . Da die Funktionen und links und rechts von jeweils das gleiche Vorzeichen besitzen, folgt aus der letzten Gleichheit
für
für
Folglich besitzt
in
ein lokales Minimum.
Satz 7.17 Sei in -mal differenzierbar und . Ist und bzw. , dann besitzt in ein lokales Minimum bzw. ein lokales Maximum.
Beweis. (Der Beweis erfolgt mit Hilfe des Satzes von Taylor.)
Sei (für verläuft der Beweis analog). Dann gilt
für alle wobei eine hinreichend kleine Umgebung von ist. Wegen gilt analog wie im Beweis von Satz 7.16, daß und links und rechts von jeweils das gleiche Vorzeichen besitzen. Aus dem Satz von Taylor für erhält man
Wegen gilt
denn
ist ungerade, folglich haben
und
links
und rechts von
gleiches Vorzeichen, und damit haben auch
und
gleiches Vorzeichen.
Es ist also
für alle
und somit
ein lokales Minimum von
.
Beispiel. Es sei
Offensichtlich ist und Damit ist eine hinreichende Bedingung für das Vorliegen eines lokalen Minimums an der Stelle erfüllt. Das lokale Minimum selbst hat den Wert . (vgl. Abb. 7.12)
(d) Wendepunkte
Definition. (Wendepunkt) Sei in stetig und . besitzt in einen Wendepunkt =Df
Ein Wendepunkt markiert also die Umkehr des Konvexitätsverhaltens der betrachteten Funktion.
Satz 7.18 Sei in -mal differenzierbar und . besitzt in einen Wendepunkt gdw in ein lokales Extremum besitzt.
Beweis. Übungsaufgabe !
(Man führt den Beweis mit Hilfe von Satz 7.14; da die Funktion
auch an der Stelle
differenzierbar ist, scheidet der Fall, daß eine „senkrechte Tangente“ existiert, aus.)
Satz 7.19 Notwendige Bedingung für die Existenz eines Wendepunktes Sei in zweimal differenzierbar und . Besitzt in einen Wendepunkt, dann ist
Beweis. Nach Voraussetzung
ist
in
zweimal differenzierbar, folglich ist
in
noch differenzierbar. Da
in
einen Wendepunkt besitzt, hat
(nach Satz 7.18) in
ein lokales Extremum. Nach Satz 7.15 ist dann
Satz 7.20 Hinreichende Bedingung für die Existenz eines Wendepunktes Sei in dreimal differenzierbar und . Ist und , dann besitzt in einen Wendepunkt.
Beweis. Nach Voraussetzung
ist
in
zweimal differenzierbar. Wegen der hinreichenden Bedingung für die
Existenz eines lokalen Extremums (Satz 7.16) besitzt
in
ein lokales Extremum. Folglich hat
in
einen Wendepunkt.
Satz 7.21 Sei in -mal differenzierbar und . Ist und , dann besitzt in einen Wendepunkt.
Beweis. Wendet man auf
den Satz 7.17 an, dann erhält man sofort die gewünschte Behauptung.
(e) Unendlichkeitsstellen
Definition. (Unendlichkeitsstelle) Sei und und in definiert.
(f) Verhalten im Unendlichen
Hierzu sind die Limites und zu berechnen, falls die Grenzwerte existieren.
Beispiel einer Kurvendiskussion.
Sei
Der Definitionsbereich ist Nullstellen sind nicht vorhanden.
(a). Monotonie
Wir bilden zunächst
Für sind die Ableitungen nicht definiert. Ist dann ist der Nenner von positiv, und damit gilt: Wenn so ist in streng monoton fallend; wenn so ist in streng monoton fallend; wenn so ist in streng monoton wachsend; wenn so ist in streng monoton wachsend.
(b). Konvexität
Wir bilden und benutzen Satz 7.14 und das Korollar zu diesem Satz. Es ist
Der Zähler von ist stets positiv; der Nenner ist in negativ, sonst (außer in ) positiv. Folglich gilt:
Wenn so ist in streng konvex von oben; wenn so ist in streng konvex von unten; wenn so ist in streng konvex von oben.
(c). Lokale Extrema
Um die kritischen Stellen zu ermitteln, setzen wir zunächst
Also höchstens an der Stelle besitzt ein lokales Extremum. Wir überprüfen jetzt die hinreichende Bedingung. Es ist folglich besitzt in ein lokales Minimum. Der Extremwert selbst (also das lokale Minimum) ist
(d). Wendepunkte
Die Gleichung besitzt keine Lösung, folglich hat keinen Wendepunkt.
(e). Unendlichkeitsstellen
Hier kommen höchstens die Stellen in Frage, da der Nenner von an diesen Stellen null wird. Es ist
und
und
(f). Verhalten im Unendlichen
und
Insgesamt haben wir über folgende Informationen:
– Definitionsbereich: , – Nullstellen von : keine, –
Aus diesen Informationen kann man den groben Verlauf der Funktion skizzieren. (vgl. hierzu Abb. 7.14)
Satz 7.22 Differenzierbarkeit der Grenzfunktion Sei und eine Folge von Funktionen, die in dem Intervall definiert sind. Dann gilt
Beweis. (1). Wir zeigen zunächst, daß in gleichmäßig gegen eine Funktion konvergiert.
Dazu sei und . Dann erhält man (unter Ausnutzung des 1. Mittelwertsatzes der Differentialrechnung) für alle und für hinreichend große :
(wegen der Konvergenz von in )
(für ein zwischen und )
(für alle )
Nach dem Cauchyschen Konvergenzkriterium existiert eine Funktion , so daß in gleichmäßig gegen konvergiert.
Es bleibt noch zu zeigen, daß in differenzierbar und ist.
Sei
und
Da in differenzierbar ist, existiert der Limes des Differenzenquotienten, folglich ist in stetig. Wir zeigen zunächst, daß in gleichmäßig konvergiert.
Dazu sei und seien hinreichend groß. Für gilt dann
Für erhält man
(1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung)
( ist in gleichmäßig konvergent)
Folglich ist nach dem Cauchyschen Konvergenzkriterium für Funktionenfolgen (Satz 5.18) gleichmäßig konvergent in . Also gilt für
.
Aus der Stetigkeit der Funktionen in und der gleichmäßigen Konvergenz von folgt die Stetigkeit der Grenzfunktion in . Hieraus erhält man für
.
Damit existiert die 1. Ableitung von an der Stelle , und es gilt .
(2). Setzt man , dann ist nach Voraussetzung die Folge konvergent, alle sind in differenzierbar, , und konvergiert in gleichmäßig gegen .
Nach (1) existiert dann eine differenzierbare Funktion , so daß in gleichmäßig gegen konvergiert, und es ist
Daraus erhält man sofort
Satz 7.23 Differentiation einer Potenzreihe Sei eine reelle Potenzreihe mit dem Konvergenzradius . Dann gilt
Beweis. (1). Wir zeigen zunächst, daß an der Stelle differenzierbar ist. Es gilt
.
Da durch Potenzreihen stetige Funktionen dargestellt werden, ist
(Siehe Korollar zu Satz 5.21 und das Lemma zum Identitätssatz für Potenzreihen.)
Um die Differenzierbarkeit von an einer beliebigen Stelle mit nachweisen zu können, benutzen wir den Umordnungssatz für Potenzreihen (Satz 4.24), indem wir die Ausgangsreihe nach Potenzen von umordnen.
Es sei . Für jedes gilt dann
, wobei .
Nach den vorhergehenden Überlegungen ist wenigstens an der Stelle differenzierbar, und es ist
.
Wegen für alle ist .
(2). Offenbar ist die (formal gliedweise) differenzierte Potenzreihe an jeder Stelle konvergent, folglich ist ihr Konvergenzradius . Wäre er , dann gäbe es ein mit , so daß und somit auch absolut konvergieren. Für gilt offenbar
.
Mit Hilfe des Majorantenkriteriums erhält man die
Konvergenz von
an der Stelle
.
!
Folglich haben
und
den
gleichen Konvergenzradius.
Korollar. Sei eine Potenzreihe mit dem Konvergenzradius . Dann ist in beliebig oft differenzierbar, und es ist
.
Beweis. Den Beweis führt
man leicht mit Hilfe des vorhergehenden Satzes induktiv über
.
Schwerpunkte für die Wiederholung von Kapitel 7