Die Differentialrechnung ist u.a. durch das Tangentenproblem und das Geschwindigkeitsproblem motiviert. Dabei ist also eine Funktion f – etwa die Funktion des zurückgelegten Weges eines sich bewegenden Massepunktes – gegeben, und die Ableitung f der Funktion f – also die Funktion der Geschwindigkeit des Punktes – ist gesucht.

In der Praxis entsteht oft die umgekehrte Fragestellung. Z.B. kann die Funktion der Geschwindigkeit gegeben sein, und man sucht die Funktion des Weges. Also gegeben ist eine Funktion f, gesucht ist eine differenzierbare Funktion F mit F = f. Dies führt uns in gewisser Weise zur Umkehrung des Differenzierens, zum (unbestimmten) Integrieren. Mit dieser Fragestellung verwandt, obwohl auf dem ersten Blick nicht zu erkennen, ist das sog. Flächenproblem :

Gegeben sei eine in einem abgeschlossenen Intervall I = [a,b] mit a < b definierte und nicht negative Funktion f. Es erhebt sich die Frage, ob der ebenen Punktmenge

     M = {(x,y) : a x b, 0 y f(x)}

in „vernünftiger Weise“ ein Flächeninhalt zugeschrieben werden kann und wie dieser gegebenenfalls berechnet werden könnte? (siehe auch Abb. 9.1 und 9.2)

 

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Diese Fragestellungen werden in den nächsten beiden Abschnitten behandelt. Wir befassen uns zunächst mit der „Umkehrung des Differenzierens“.

9.1 Das unbestimmte Integral

Im folgenden seien – wenn nichts anderes vereinbart wird – f,g,F,G reellwertige Funktionen einer reellen Veränderlichen, und I sei ein Intervall in IR.

Definition. (Stammfunktion)

Es seien f,F in einer Menge M IR definiert.

F ist eine Stammfunktion von f in M =Df

F ist in M differenzierbar, und es gilt F(x) = f(x) für jedes x M.

Satz 9.1 Sind F1 und F2 Stammfunktionen von f in einem Intervall I, dann unterscheiden sich F1 und F2 höchstens um eine additive Konstante. (D.h., es existiert ein c IR, so daß F1(x) = F2(x) + c für jedes x I).

Beweis. Nach Voraussetzung gilt F1 = f = F 2 in I. Folglich ist F1- F 2 = (F 1 - F2), und nach dem Korollar zum ersten Mittelwertsatz der Differentialrechnung ist F1 - F2 konstant.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Bemerkung.

(1)

Ist F1 eine Stammfunktion von f in I und ist F2(x) = F1(x) + c für jedes x I, dann ist offenbar auch F2 eine Stammfunktion von f in I.

(2)

Besitzt f überhaupt eine Stammfunktion in I und ist x0 I, dann gibt es genau eine Stammfunktion F von f in I, so daß F(x0) = 0.

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Beweis zu (2). Ist F1 eine beliebige Stammfunktion von f und F1(x0) := c, dann ist auch F(x) = F1(x) - c eine Stammfunktion, und es gilt F(x0) = F1(x0) - c = 0. Ist F* ebenfalls eine Stammfunktion von f mit F*(x 0) = 0, dann unterscheiden sich F* und F nur um eine additive Konstante, also F*- F = c. Folglich ist F*(x 0) - F(x0) = 0 = c.

Für diese – durch x0 I eindeutig bestimmte – Stammfunktion F benutzen wir folgende Bezeichnungen:

     Bez.: F(x) :=x0xf(t)dt :=x0xf(x)dx.

Aus drucktechnischen Gründen schreiben wir für x0x auch x0x.

Offenbar gilt F(x) = x0xf(x)dx = f(x).

Definition. (unbestimmtes Integral )

Die Menge aller Stammfunktionen von f in einem Intervall I heißt unbestimmtes Integral von f in I.      Bez.: f(x)dx.

Das unbestimmte Integral von einer Funktion – die eine Stammfunktion besitzt – ist also eine ganze Klasse von Funktionen, die sich voneinander nur um eine additive Konstante unterscheiden. Will man mit diesen Klassen „rechnen“, dann kann man dies repräsentantenweise tun und jeweils entsprechende Konstanten addieren.

Zusammenstellung von Grundintegralen

xndx = xn+1 n + 1 + c, n ZZ  \ {-1}   dx x = ln |x| + c
sin xdx = - cos x + c exdx = ex + c
cos xdx = sin x + c axdx = ax ln a + c
dx cos x = tan x + c dx 1 - x2 = arcsin x + c
dx sin x = - cot x + c dx 1 + x2 = ln(x + x2 - 1) + c
dx 1 + x2 = arctan x + c dx x2 - 1 = ln |x + x2 - 1| + c, |x| > 1
dx 1 - x2 = 1 2 ln 1 + x 1 - x + c, |x| < 1 g(x) g(x) dx = ln |g(x)|.

Diese Grundintegrale werden alle durch Differentiation bewiesen.

Beispiel. Es gilt 1 xdx = ln |x| + c, wobei c eine beliebige Konstante ist.

Es genügt zu zeigen, daß F(x) = ln |x| + c eine Stammfunktion von f(x) = 1 x mit x0 ist. Für x < 0 ist |x| = -x, also ln |x| = ln(-x) und schließlich F(x) = ln(-x) + c = 1 -x (-1) = 1 x. Für x > 0 ist |x| = x und damit F(x) = ln |x| + c = 1 x.

Integration zusammengesetzter Funktionen

Aus den Differentiationsregeln gewinnt man entsprechende Regeln für das Integrieren.

Satz 9.2 (Integration einer Summe) Es seien a,b IR. Besitzen f und g Stammfunktionen in I, dann besitzt auch a f + b g eine Stammfunktion in I, und es gilt

     a f(x) + b g(x)dx = a f(x)dx + b g(x)dx.

Beweis. Sei x0 I und F,G seien die Stammfunktionen von f bzw.  g, für die F(x0) = G(x0) = 0, also F(x) = f(x), G(x) = g(x) und F(x) =x0xf(x)dx und G(x) =x0xg(x)dx. Dann ist offenbar a F + b G die Stammfunktion von a f + b g in I, welche an der Stelle x0 Null wird. Also ist

    x0x(a f(x) + b g(x))dx = a F(x) + b G(x) = a x0xf(x)dx + b x0xg(x)dx.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Bemerkung. Hieraus folgt sofort (-f(x))dx = -f(x)dx.

Die Produktregel für das Differenzieren liefert eine entsprechende Regel für das Integrieren. Denn (uv) = uv + uv, folglich ist uv eine Stammfunktion für uv + uv. Setzt man u = f und v = g, dann motiviert dies den folgenden Satz.

Satz 9.3 (partielle Integration) Es seien f und g in I definiert. Besitzt f in I eine Stammfunktion F und ist g in I differenzierbar und besitzt F g in I eine Stammfunktion, dann besitzt auch f g in I eine Stammfunktion, und es ist

     f(x)g(x)dx = F(x)g(x) -F(x)g(x)dx.

Beweis. Es sei x0 I und o.B.d.A. sei F die Stammfunktion von f in I, die an der Stelle x0 Null wird. Weiterhin sei

     h(x) := F(x)g(x) -x0xF(x)g(x)dx.

Dann ist h als Differenz zweier differenzierbarer Funktionen wieder differenzierbar in I, und es gilt

     h(x) = F(x) =f(x)g(x) + F(x)g(x) - F(x)g(x) = f(x)g(x). Folglich ist h die Stammfunktion von f g in I, die an der Stelle x0 Null wird. Hieraus folgt die Behauptung.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Bemerkung. Ersetzt man in Satz 9.3 f durch u und damit F durch u, dann erhält man uvdx = uv -uvdx.

Beispiel. Es sei f(x) = x ex.

Wir versuchen, dieses Integral mit Hilfe der partiellen Integration zu berechnen. Ansatz 1: u(x) = x und v(x) = ex. Dann ist u(x) = 1 2x2 eine Stammfunktion von x und v(x) = ex. Folglich ist

     xexdx = x2 2 ex -x2 2 exdx.

Das letzte Integral ist aber komplizierter als das Ausgangsintegral, demzufolge führt dieser Ansatz nicht zum Ziel. Ansatz 2: u(x) = ex und v(x) = x. Dann ist u(x) = ex eine Stammfunktion von ex und v(x) = 1. Folglich ist

     xexdx = xex - 1 exdx = xex - ex + c = ex(x - 1) + c.

Auch die Kettenregel für das Differenzieren liefert eine entsprechende Regel für das Integrieren. Denn u(v(x) = u(v(x)) v(x), folglich ist u(v(x)) eine Stammfunktion von u(v(x)) v(x). Setzt man u = f und v = g, dann motiviert dies folgenden Satz.

Satz 9.4 (Substitutionsregel) Sei g in dem Intervall I und f in dem Intervall J definiert, und es sei g(I) J. Besitzt f in J eine Stammfunktion und ist g in I differenzierbar, dann besitzt f(g(x)) g(x) in I eine Stammfunktion, und es gilt

x0xf(g(x))g(x)dx =t0tf(t)dt, wobei x0 I, t = g(x) und t0 = g(x0).

Beweis. Sei x0 I, t0 = g(x0) und F die Stammfunktion von f in J, die in t0 J Null wird. Es gilt also F(t0) = F(g(x0)) = 0 und

     F(g(x)) = F(g(x)) g(x) = f(g(x)) g(x).

Folglich ist F(g(x)) die Stammfunktion von f(g(x)) g(x), die in x0 Null wird, denn F(g(x0)) = F(t0) = 0. Also ist

     F(g(x) =t) =x0xf(g(x)) g(x)dx,

und damit gilt auch

     F(t) =t0tf(t)dx =x0xf(g(x)) g(x)dx.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Mit Hilfe einer Stammfunktion F von f läßt sich sofort das unbestimmte Integral f(g(x)) g(x)dx = F(g(x)) + c angeben.

Beispiele.

1. Berechnung des unbestimmten Integrals 1 + x2 xdx.

Es sei I = (-,), und J = [0,). Setzt man f(t) = t und g(x) = 1 + x2, dann ist g(x) = 2x und 1 + x2 x = 1 21 + x2 2x = f(g(x)) g(x).

Eine Stammfunktion von f(t) = t ist durch 2 3t3 gegeben. Folglich ist

     1 + x2 xdx = 1 3 (1 + x2 )3 + c.

2. Berechnung des unbestimmten Integrals g(x) g(x) dx mit g(x)0.

Setzt man f(t) = 1 t und t = g(x), dann ist g(x) g(x) = f(g(x)) g(x). ln |t| ist eine Stammfunktion von f(t) = 1 t. Folglich ist

     g(x) g(x) dx = ln |g(x)| + c.

3. Berechnung des unbestimmten Integrals 1 1 + exdx.

Wir versuchen dies wieder mit Hilfe der Substitutionsregel. Hierzu setzen wir t = ex. Folglich ist dt dx = ex. Rechnet man mit Differentialen, dann ergibt sich hieraus dx = dt ex = dt t . Folglich ist

     1 1 + exdx = 1 t(1 + t)dt.

Der Integrand wird mit Hilfe der Partialbruchzerlegung so umgeformt, daß sich die resultierenden Integrale leichter berechnen lassen. Hierzu machen wir folgenden Ansatz:

     1 t(t + 1) = A t + B t + 1,

wobei A und B Konstanten sind und die Gleichheit als Gleichheit von rationalen Funktionen zu verstehen ist. Multipliziert man die Gleichung mit der Nennerfunktion t(t + 1), dann erhält man die folgende Polynomgleichheit:

     1 = A(t + 1) + Bt = (A + B)t + A.

Ein Koeffizientenvergleich der auf beiden Seiten der Gleichheit stehenden Polynome liefert das Gleichungssystem

    

A = 1
A + B = 0,

mit den Unbekannten A,B. Die Lösung ergibt B = -A = -1. Damit erhält man

     1 1 + exdx = 1 t(1 + t)dt

= 1 t - 1 1 + tdt

= ln |t|- ln |1 + t| + c

= ln ex - ln(1 + ex) + c

= x - ln(1 + ex) + c.

4. Es soll nun 1 x2(x2 + 1)dx berechnet werden.

Wir versuchen dies erneut mit der Partialbruchzerlegung. Hierzu machen wir folgenden Ansatz:

     1 x2(x2 + 1) = A x2 + B x + Cx + D x2 + 1 .

Multipliziert man diese Gleichung (Gleichheit von Funktionen) mit der Nennerfunktion x2(x2 + 1), dann entsteht eine Gleichung zwischen zwei Polynomen:

     1 = A(x2 + 1) + Bx(x2 + 1) + (Cx + D)x2

= Ax2 + A + Bx3 + Bx + Cx3 + Dx2

= (B + C)x3 + (A + D)x2 + Bx + A.

Durch Koeffizientenvergleich erhält man hieraus sofort:

     A = 1, D = -A = -1, B = 0, C = 0.

Also

     1 x2(x2 + 1)dx = 1 x2dx - 1 x2 + 1dx

= -1 x - arctan x + c.

5. Will man das unbestimmte Integral von

     f(x) = 1 (x - a)m(x2 + bx + c)n

für den Fall bestimmen, daß x2 + bx + c keine reelle Nullstelle besitzt, dann macht man bei der Partialbruchzerlegung folgenden Ansatz:

     1 (x - a)m(x2 + bx + c)n = A1 x - a + A2 (x - a)2 + + Am (x - a)m+

     B1x + C1 x2 + bx + c + B2x + C2 (x2 + bx + c)2 + + Bnx + Cn (x2 + bx + c)n.

6. Hat man eine beliebige rationale Funktion f(x) in der Form p(x) q(x) gegeben, dann kann durch Polynomdivision immer erreicht werden, daß

     p(x) q(x) = p1(x) + r(x) q(x),

wobei der Grad von r(x) kleiner ist als der Grad von q(x).

Für die entsprechende Partialbruchzerlegung von r(x) g(x) macht man folgenden Ansatz:

r(x) (x - a1)m1(x - ak)mk(x2 + b1x + c1)n1(x2 + blx + cl)nl =

A11 x - a1 + + A1m1 (x - a1)m1 + + Ak1 x - ak + + Akmk (x - ak)mk+

B11x + C11 x2 + b1x + c1 + + B1n1x + C1n1 (x2 + b1x + c1)n1 + + Bl1x + Cl1 x2 + blx + cl + + Blnlx + Clnl (x2 + blx + cl)nl,

wobei q(x) schon als Produkt gegeben sei und die Faktoren x2 + b ix + ci keine reellen Nullstellen besitzen sollen. Die Multiplikation der Gleichung mit q(x) liefert wieder eine Polynomgleichung. Durch Koeffizientenvergleich erhält man ein lineares Gleichungssystem, aus dem man die Koeffizienten Aij,Bij,Cij berechnen kann. Mit dieser Methode bleiben schließlich nur noch Integrale über Funktionen der Gestalt

     f(x) = 1 (x - a)k   und   g(x) = Ax + B (x2 + bx + c)l

zu berechnen. Bei der ersten Funktion substituiert man t = x - a, und löst auf diese Weise das Integral. Bei der zweiten Funktion ist x2 + bx + c = (x + b 2)2 + c - (b 2)2. Da x2 + bx + c keine reelle Nullstelle besitzt, ist c - (b 2)2 > 0. Der Einfachheit wegen setzen wir c - (b 2)2 := r2. Substituiert man jetzt t = x + b 2, so ist dx = dt und x2 + bx + c = (x + b 2)2 + r2 = t2 + r2 = r2((t r)2 + 1). Folglich erhält man

     Ax + B (x2 + bx + c)ldx =At + (B - A b 2) r2l t r2 + 1l dt = 1 r2lAt + C t r2 + 1l dt := (),

wobei C := B - A b 2. Substituiert man erneut u := t r, also t = r u und dt = r du, so ergibt sich

     () = 1 r2lr Au + C (u2 + 1)l rdu = 1 r2l-2Au + C* (u2 + 1)ldu, mit C* = c r.

Es bleiben schließlich nur noch die Integrale

     u (u2 + 1)ldu und du (u2 + 1)l

zu berechnen. Bei dem ersten Integral substituiert man v := u2 + 1dv = 2udu, also

     u (u2 + 1)ldu = 1 2dv vl ,

und dies ist ein Grundintegral. Das zweite Integral ist für l = 1 ein Grundintegral; für l > 1 führt folgender Ansatz schließlich zum Ziel:

     du (u2 + 1)l = a*u + b* (u2 + 1)l-1 + c* du (u2 + 1)l-1, ()

wobei a*,b*,c* zu bestimmende Konstanten sind. (Wenn dieser Ansatz gelingt, dann hat man das Problem „von l > 1 auf l - 1 1 reduziert. Wiederholte Anwendung dieses Verfahrens führt das Ausgangsintegral auf ein Grundintegral zurück.)

Differenziert man die Gleichung (), dann erhält man (analog wie bei der Partialbruchzerlegung) eine Gleichheit von rationalen Funktionen. Durch Koeffizientenvergleich entsteht ein lineares Gleichungssystem, aus dem sich a*,b*,c* bestimmen lassen. Es ergibt sich:

     a* = 1 2(l - 1),b* = 0,c* = 2l - 3 2l - 2.

(vgl. auch Literaturangabe [2], Band 3, Nr. 13, Seite 38)

9.2 Das bestimmte (Riemann-) Integral

Wir wenden uns nun dem Flächenproblem zu. Gegeben sei also ein abgeschlossenes Intervall I = [a,b] mit a < b und eine in I definierte und beschränkte Funktion f. Im folgenden sei stets – falls nichts anderes vereinbart wird – I dieses Intervall und f : I IR. (vgl. auch Abb. 9.1)

Wenn f in I nicht negativ ist und der Flächeninhalt A der ebenen Punktmenge M := {(x,y) : a x b, 0 y f(x)} überhaupt existiert, dann muß folgende Ungleichung gelten (siehe Abb. 9.4)

     (b - a) inf xIf(x) A (b - a) sup xIf(x).

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Mit dieser Grundidee versuchen wir jetzt, den vermeintlichen „Flächeninhalt“ näherungsweise zu berechnen (hierbei setzen wir die Definition des Flächeninhalts eines Rechtecks als gegeben voraus.)

Zur Behandlung des Problems benötigen wir einige neue Begriffsbildungen: Zerlegung eines Intervalls, Untersumme, Obersumme, Verfeinerung einer Zerlegung.

Definition. (Zerlegung)

𝔷 ist eine Zerlegung (oder Partition) von I =Df

𝔷 ist eine endliche Folge (a0,,an+1) von reellen Zahlen a0,,an+1, so daß a := a0 < a1 < < an+1 = b.

Die Elemente a0,,an+1 heißen dann Unterteilungspunkte von 𝔷, Ii := [ai,ai+1] bezeichne das i-te Teilintervall bezüglich 𝔷, und d(𝔷) := max{ai+1 - ai : i = 0,,n} heißt Maximaldistanz (oder Norm, Feinheitsmaß,) von 𝔷.

Definition. (Untersumme, Obersumme)

Sei f in I definiert und beschränkt.

(1) S_f(𝔷) heißt Untersumme von f in I bei der Zerlegung 𝔷

=Df

S_f(𝔷) := i=0n(a i+1 - ai) inf xIif(x).

(2) Sf(𝔷) heißt Obersumme von f in I bei der Zerlegung 𝔷

=Df

Sf(𝔷) := i=0n(a i+1 - ai) sup xIif(x).

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Definition. (Verfeinerung)

Es seien 𝔷 und 𝔷 Zerlegungen von I. 𝔷 ist eine Verfeinerung von 𝔷

=Df

Alle Unterteilungspunkte von 𝔷 sind auch Unterteilungspunkte von 𝔷.

Satz 9.5 Es sei f in I = [a,b] definiert und beschränkt und 𝔷,𝔷,𝔷 1,𝔷2 seien beliebige Zerlegungen von I. Dann gilt :

(1) S_f(𝔷) Sf(𝔷).

(2) (b - a) inf xIf(x) S_f(𝔷) und Sf(𝔷) (b - a) sup xIf(x).

(3) Ist 𝔷 eine Verfeinerung von 𝔷, dann gilt S_f(𝔷) S_f(𝔷) S f(𝔷) S f(𝔷).

(4) Es ist stets S_f(𝔷1) Sf(𝔷2).

Beweis. Es sei 𝔷 = (a0,,an+1).

(1). Wegen ai+1 - ai > 0 und inf xIif(x) sup xIif(x) gilt

     S_f(𝔷) = i=0n(a i+1 - ai) inf xIif(x) i=0n(a i+1 - ai) sup xIif(x) = Sf(𝔷).

(2). Für i = 0,,n ist offenbar Ii I und damit auch

     inf xIf(x) inf xIif(x) und sup xIf(x) sup xIif(x).

Folglich ist

     (b - a) inf xIf(x) = i=0n(a i+1 - ai) inf xIf(x) i=0n(a i+1 - ai) inf xIif(x)

     = i=0n(a i+1 - ai) inf xIif(x) = S_f(𝔷) Sf(𝔷) = i=0n(a i+1 - ai) sup xIif(x)

     i=0n(a i+1 - ai) sup xIf(x) = (b - a) sup xIf(x).

(3). Sei (a0i,,a ni+1i) die entsprechende Zerlegung von Ii, die durch die Verfeinerung 𝔷 von 𝔷 erzeugt wird, und es sei Iij = [aji,a j+1i].

Analog wie im Beweis von (2) erhält man:

     (ai+1 - ai) inf xIif(x) j=0ni (aj+1i - a ji) inf xIijf(x) ()

und

     (ai+1 - ai) sup xIif(x) j=0ni (aj+1i - a ji) sup xIijf(x). ()

Addiert man die Ungleichungen () bzw. () bezüglich i, dann erhält man die gewünschte Behauptung.

(4). Es sei 𝔷 eine gemeinsame Verfeinerung von 𝔷1 und 𝔷2, d.h., alle Unterteilungspunkte von 𝔷1 und von 𝔷2 sind auch Unterteilungspunkt von 𝔷. Dann gilt

     S_f(𝔷) S_f(𝔷) S f(𝔷) S f(𝔷).   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Bemerkung. Nach (2) ist die Menge der Untersummen und die Menge der Obersummen stets beschränkt. Dies gibt Anlaß zu folgender Definition:

Definition. (Unterintegral, Oberintegral, Integral ) Es sei f in I definiert und beschränkt. Die obere Grenze (= Supremum) der Menge aller Untersummen heißt Unterintegral von f in I, und die untere Grenze (= Infimum) der Menge aller Obersummen heißt Oberintegral von f in I.

     Bez.: abf(x)dx bzw. ab_f(x)dx oder auch       _ _ a bf(x)dx bzw. _ _ a bf(x)dx.

Sind Unter- und Oberintegral von f in I gleich, dann heißt f in I (bestimmt) integrierbar, und der gemeinsame Wert von Unter- und Oberintegral heißt bestimmtes (Riemann-) Integral oder einfach bestimmtes Integral von f in I.      Bez.: abf(x)dx oder auch abf(x)dx

Definition. (Flächeninhalt )

Sei f in [a,b] definiert, beschränkt und nicht negativ. Die (ebene) Punktmenge M := {(x,y) : a x b und 0 y f(x)} besitzt einen Flächeninhalt (der Größe A) =Df

f ist in [a,b] integrierbar (und abf(x)dx = A).

Bemerkung. Aus Satz 9.5 (4) folgt sofort, daß _ _ a bf(x)dx _ _ a bf(x)dx.

Beispiel. Wir diskutieren jetzt ein Beispiel dafür, daß das Unterintegral kleiner ist als das Oberintegral.

Dazu sei I = [0, 1] und f(x) = 2,  falls x  rational,
1,  falls x  irrational.

Dann gilt für jede Zerlegung 𝔷 von I und jedes Teilintervall Ii = [ai,ai+1] I:

     inf xIif(x) = 1 und sup xIif(x) = 2.

Folglich ist

     S_f(𝔷) = i=0n(a i+1 - ai) inf xIif(x) =1 = i=0n(a i+1 - ai) = an+1 - a0 = 1

und

     Sf(𝔷) = i=0n(a i+1 - ai) sup xIif(x) =2 = 2 i=0n(a i+1 - ai) = 2.

Für eine beliebige Zerlegung 𝔷 von I ist also stets S_f(𝔷) = 1 < 2 = Sf(𝔷). Folglich ist auch

     01f(x)dx = 1 < 2 =01_f(x)dx.

Damit ist die Funktion f in I nicht integrierbar, und die entsprechende Punktmenge M besitzt keinen Flächeninhalt. (siehe auch Abb. 9.6)

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Satz 9.6 Ist f in I = [a,b] definiert und beschränkt, dann gibt es für jedes ε > 0 ein δ > 0, so daß für jede Zerlegung 𝔷 von I mit d(𝔷) < δ gilt :

(1) 0 abf(x)dx -S_ f(𝔷) < ε und

(2) 0 Sf(𝔷) -ab_f(x)dx < ε.

Beweis. (1). Es sei ε > 0. Nach Definition des Unterintegrals existiert eine Zerlegung 𝔷 = (a 0,,an+1) von I, so daß

     0 abf(x)dx -S_ f(𝔷) < ε 2.

Da f in I beschränkt ist, gibt es ein c IR, so daß |f(x)| < c für alle x I.

Es sei

     δ := min d(𝔷), ε 6c(n + 1)

und 𝔷 eine beliebige Zerlegung von I mit d(𝔷) < δ. Wir zeigen:

     0 abf(x)dx -S_ f(𝔷) < ε.

Es sei 𝔷 eine gemeinsame Verfeinerung von 𝔷 und 𝔷. Dann ist 0 S_f(𝔷) S_ f(𝔷), also gilt

     0 abf(x)dx -S_ f(𝔷) < ε 2.

Es genügt zu zeigen, daß

     S_f(𝔷) -S_f(𝔷) ε 2.

Wegen d(𝔷) < δ < d(𝔷) enthält jedes Intervall von 𝔷 höchstens einen Zerlegungspunkt von 𝔷 als inneren Punkt. Die durch 𝔷 entstehenden Intervalle werden in zwei Klassen zerlegt:

M1 := Intervalle von 𝔷, die kein ai von 𝔷 als inneren Punkt enthalten,

M2 := Intervalle von 𝔷, die ein ai von 𝔷 als inneren Punkt enthalten.

Mit der Zerlegung 𝔷 erhält man die folgenden beiden Intervallmengen:

M1 := Intervalle von 𝔷, die schon zu M1 gehören,

M1 := Intervalle von 𝔷, die nicht zu M1 gehören.

In der Differenz S_f(𝔷) -S_f(𝔷) liefern die Intervalle aus M1 (diese gehören auch zu M1) keinen Beitrag (die entsprechenden Summanden heben sich gegenseitig auf). Es bleiben noch die Summanden zu berücksichtigen, die durch die Intervalle aus M2 bzw. M2 entstehen.

M2 enthält höchstens (n + 1) Intervalle und M2 höchstens 2(n + 1). Wegen (c - d)inf x[c,d]f(x) < δc, falls |c - d| < δ, erhält man

     |S_f(𝔷) -S_f(𝔷)| 3(n + 1)cδ ε 2.

(2) zeigt man analog.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Definition. (ausgezeichnete Zerlegungsfolge)

Es sei (𝔷ν)ν=0,1,2, eine Folge von Zerlegungen des Intervalls I. (𝔷ν) heißt ausgezeichnete Zerlegungsfolge von I =Df

lim νd(𝔷ν) = 0.

Satz 9.7 Sei f in I = [a,b] definiert und beschränkt und (𝔷ν) eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge von I. Dann gilt :

(1) lim νS_f(𝔷ν) =abf(x)dx.

(2) lim νSf(𝔷ν) =ab_f(x)dx.

(3) Ist f in I integrierbar, dann sind die Limites in (1) und (2) gleich abf(x)dx.

Beweis. (1). Es ist zu zeigen: Wenn ε > 0, dann existiert ein ν0, so daß für jedes ν ν0 gilt:

     _ _ a bf(x)dx -S_ f(𝔷ν) < ε.

Nach Satz 9.6 existiert für ε > 0 ein δ > 0, so daß _ _ a bf(x)dx -S_ f(𝔷ν) < ε, falls d(𝔷ν) < δ. Nach Voraussetzung ist d(𝔷ν) eine Nullfolge, folglich existiert ein ν0, so daß d(𝔷ν) < δ für alle ν ν0. Damit leistet ν0 für die Behauptung (1) das Verlangte.

(2) beweist man analog.

(3) ist eine triviale Folgerung aus (1) und (2).   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

9.3 Integrierbarkeitskriterien

Der Umgang mit der Definition der Integrierbarkeit ist ein wenig schwerfällig. Daher wäre es sehr hilfreich, ein gut anwendbares Integrierbarkeitskriterium zu haben. Ein solches Kriterium ist mit dem folgenden Satz gegeben.

Satz 9.8 (Riemannsches Integrierbarkeitskriterium)

Sei f in I = [a,b] definiert und beschränkt. Dann gilt : f ist in I integrierbar gdw für jedes ε > 0 eine Zerlegung 𝔷 von I existiert, so daß Sf(𝔷) -S_f(𝔷) < ε.

Beweis. () Sei f in I integrierbar, also _ _ a bf(x)dx = _ _ a bf(x)dx. Sei ε > 0. Nach Satz 9.6 existiert ein δ > 0, so daß für jedes 𝔷 mit d(𝔷) < δ gilt:

     abf(x)dx -S_ f(𝔷) < ε 2   und   Sf(𝔷) -ab_f(x)dx < ε 2.

Addiert man die beiden Ungleichungen, dann erhält man:

     abf(x)dx -S_ f(𝔷) + Sf(𝔷) -ab_f(x)dx < ε.

Da nach Voraussetzung Unter- und Oberintegral übereinstimmen, ergibt sich Sf(𝔷) -S_f(𝔷) < ε sogar für jede Zerlegung 𝔷 mit d(𝔷) < δ.

() Annahme: f ist in I nicht integrierbar. Also

     0 <ab_f(x)dx -abf(x)dx := ε.

Nach Voraussetzung existiert für dieses ε > 0 eine Zerlegung 𝔷 von I, so daß Sf(𝔷) -S_f(𝔷) < ε. Folglich ist

     ε =ab_f(x)dx -abf(x)dx S f(𝔷) -S_f(𝔷) < ε. PICT   !   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

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Definition. (Zwischensumme)

Es sei f in I definiert, 𝔷 = (a0,,an+1) eine Zerlegung von I, und für jedes i = 1,,n sei ξi [ai,ai+1]. Dann nennt man τ = (ξ0,,ξn) ein Zwischenstellensystem bei der Zerlegung 𝔷, und Sf(𝔷,τ) := i=0n(a i+1 - ai) f(ξ) heißt Zwischensumme von f bei der Zerlegung 𝔷 und dem Zwischenstellensystem τ.

Bemerkung. Ist f in I definiert und beschränkt, dann gilt für ξ [ai,ai+1] := Ii stets inf xIif(x) f(ξ) sup xIif(x) und somit auch

     S_f(𝔷) Sf(𝔷,τ) Sf(𝔷).

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Satz 9.9 Es sei f in I = [a,b] definiert und beschränkt. Dann gilt : f ist in I integrierbar gdw für jede ausgezeichnete Zerlegungsfolge (𝔷ν) und jede Folge (τν) von zugehörigen Zwischenstellensystemen τν gilt : Es existiert lim νSf(𝔷ν,τν) (und der Limes ist gleich dem Integral abf(x)dx.)

Beweis. () Nach Voraussetzung ist _ _ a bf(x)dx = _ _ a bf(x)dx.

Für jede ausgezeichnete Zerlegungsfolge (𝔷ν) gilt nach Satz 9.7:

     lim νS_f(𝔷ν) =abf(x)dx =abf(x)dx

und

     lim νSf(𝔷ν) =ab_f(x)dx =abf(x)dx.

Ist (τν) eine zu (𝔷ν) gehörende Folge von Zwischenstellensystemen, dann ist nach der obigen Bemerkung stets S_f(𝔷) Sf(𝔷,τ) Sf(𝔷). Hieraus folgt sofort die Behauptung.

() Angenommen, f ist unter der gemachten Voraussetzung nicht integrierbar, also

     abf(x)dxab_f(x)dx.

Sei (𝔷ν) eine beliebige ausgezeichnete Zerlegungfolge von I, dann konvergiert Sf(𝔷ν,τν) für jedes zugehörige Zwischenstellensystem (τν). Wir konstruieren jetzt ein Zwischenstellensystem, so daß die entsprechende Folge der Zwischensummen nicht konvergiert, und dies liefert uns den gewünschten Widerspruch.

Es sei 𝔷ν = (a0ν,,a nν+1ν), ν 0 und Iiν = [aiν,a i+1ν]. Offenbar lassen sich inf xIiνf(x) und sup xIiνf(x) beliebig gut durch Funktionswerte f(ξiν) annähern. Für jedes ν konstruieren wir ein τν wie folgt:

Ist ν gerade, dann wählt man ξiν I iν so, daß f(ξiν) - inf xIiνf(x) < 1 nν(b - a), und

ist ν ungerade, dann wählt man ξiν I iν so, daß sup xIiνf(x) - f(ξiν) < 1 nν(b - a).

Auf diese Weise erhält man für jedes ν ein Zwischenstellensystem τν = (ξ0ν,,ξ nνν). Für gerade ν gilt dann

     0 Sf(𝔷ν,τν) -S_f(𝔷ν) = i=0nν (ai+1ν - a iν) f(ξ iν) - inf xIiνf(x) < 1n ν(b-a)

      < i=0nν (ai+1ν - a iν) =b-a 1 nν(b - a) = 1 nν.

Analog erhält man 0 Sf(𝔷ν) - Sf(𝔷ν,τν) < 1 nν für ungerade ν.

Nach Voraussetzung existiert lim ν(Sf(𝔷ν,τν)) := c.

Dann konvergiert auch jede Teilfolge von Sf(𝔷ν,τν) gegen c, insbesondere konvergieren die Teilfolgen mit den geraden bzw. mit den ungeraden Indizes gegen c. Wir haben also insgesamt

     lim νSf(𝔷ν,τν)) -S_f(𝔷ν) = lim ν 1 nν = 0 für gerade ν und

     lim νSf(𝔷ν) - Sf(𝔷ν,τν) = lim ν 1 nν = 0 für ungerade ν,

und somit gilt

     lim νS_f(𝔷ν) = lim νSf(𝔷ν,τν) = c für gerade ν und

     lim νSf(𝔷ν) = lim νSf(𝔷ν,τν) = c für ungerade ν.

Schließlich erhält man mit Hilfe von Satz 9.7:

     abf(x)dx = lim νS_f(𝔷ν) = c für gerade ν und

     ab_f(x)dx = lim νSf(𝔷ν) = c für ungerade ν.

Das widerspricht der Annahme. Folglich ist f in I integrierbar.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Bemerkung. Nach dem Satz 9.9 kann man das Riemann-Integral auch als Limes einer Folge von Zwischensummen definieren.

9.4 Einige Klassen integrierbarer Funktionen

Satz 9.10 Ist f in I stetig, dann ist f in I integrierbar.

Beweis. Der Beweis erfolgt mit Hilfe des Riemann-Kriteriums. Nach Voraussetzung ist f stetig in I, folglich ist f dort auch gleichmäßig stetig. Sei ε > 0. Wir suchen eine Zerlegung 𝔷 von I, so daß Sf(𝔷) -S_f(𝔷) < ε. Sei jetzt ε > 0 beliebig, aber

     0 < ε < ε b - a.

Zu diesem ε > 0 existiert auf Grund der gleichmäßigen Stetigkeit von f in I ein δ > 0, so daß für jedes x1,x2 I gilt:

     Wenn |x1 - x2| < δ, so |f(x1) - f(x2)| < ε.

Sei jetzt 𝔷 = (a0,,an+1) eine Zerlegung von I, so daß d(𝔷) < δ. Dann gilt:

     Sf(𝔷) -S_f(𝔷) = i=0n (a i+1 - ai) <δsup xIif(x) - inf xIif(x) ε

i=0n(a i+1 - ai) ε

= ε i=0n(a i+1 - ai) =b-a

= ε(b - a) < ε.

Folglich ist f in I integrierbar.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Satz 9.11 Ist f in I definiert und beschränkt und besitzt f in I höchstens endlich viele Unstetigkeitsstellen, dann ist f in I integrierbar.

Beweis. Der Beweis erfolgt induktiv über die Anzahl k der Unstetigkeitsstellen von f in dem betrachteten Intervall. Ist k = 0, dann ist f in I stetig und damit nach Satz 9.10 integrierbar. Für k gelte die Behauptung bereits. Habe f jetzt k + 1 Unstetigkeitsstellen in I. Sei x0 eine Unstetigkeitsstelle mit a < x0 < b. (Für x0 = a oder x0 = b vereinfacht sich der Beweis, man führt ihn aber analog.) Wir wählen a,b I = [a,b], so daß a < x 0 < b und I = [a,b] keine weitere Unstetigkeitsstelle von f enthält. Nach Voraussetzung ist f in I beschränkt. Folglich existiert eine Konstante c, so daß |f(x)| c, insbesondere gilt dann

     sup xIf(x) - inf xIf(x) 2c.

PICT

Es sei ε > 0. Wir suchen eine Zerlegung 𝔷 von I, so daß Sf(𝔷) -S_f(𝔷) < ε.

Dazu wählen wir a,b so dicht bei x0, daß

     b- a < 1 2c ε 3.

Dann gilt

     (b- a) sup xIf(x) - inf xIf(x) (b- a) 2c < ε 3.

Seien nun 𝔷1,𝔷2 Zerlegungen von [a,a] bzw. von [b,b], so daß

     Sf(𝔷i) -S_f(𝔷i) < ε 3, für i = 1, 2.

Nach Induktionsvoraussetzung gibt es solche Zerlegungen, da f in [a,a] und in [b,b] jeweils höchstens k Unstetigkeitsstellen besitzt. Sei 𝔷1 = (a0,,an+1) und 𝔷2 = (b0,,bm+1), dann ist offenbar 𝔷 = (a0,,an+1,b0,,bm+1) eine Zerlegung von I = [a,b], und es gilt

Sf(𝔷) -S_f(𝔷) = Sf(𝔷1) -S_f(𝔷1) + (b- a) sup xIf(x) - inf xIf(x) + Sf(𝔷2) -S_f(𝔷2)

      < 3 ε 3 = ε.

Folglich ist f in I integrierbar.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Satz 9.12 Ist f in I definiert und monoton, dann ist f in I integrierbar.

Beweis. (mit Hilfe des Riemann-Kriteriums) Sei ε > 0. Wir beweisen den Satz für monoton wachsendes f, für monoton fallende Funktionen erfolgt der Beweis analog. Es sei 𝔷 = (a0,,an+1) mit ai = a + b-a n+1 i. Dann ist offenbar ai+1 - ai = b-a n+1. Die Teilintervalle Ii = [ai,ai+1] sind also alle gleich lang. Da f monoton wächst, ist

     inf xIif(x) = f(ai) und sup xIif(x) = f(ai+1).

Folglich gilt

     Sf(𝔷) -S_f(𝔷) = i=0n (a i+1 - ai) = b-a n+1 sup xIif(x) =f(ai+1) -inf xIif(x) =f(ai)

= b - a n + 1 i=0nf(a i+1) - f(ai)

= b - a n + 1 f(an+1) - f(a0)

= (b - a)(f(b) - f(a)) n + 1

< ε, falls n hinreichend groß gewählt wird.

Damit ist gezeigt, daß f in I integrierbar ist.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Beispiele.

1. Mit dem letzten Satz lassen sich Beispiele für Funktionen angeben, die in einem Intervall sogar unendlich viele Unstetigkeitsstellen besitzen und trotzdem integrierbar sind (vgl. Abb. 9.10).

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Sei I = [0, 1], (cn) eine streng monoton wachsende Folge mit c0 = 0 und cn 1 (z.B. cn = n n+1), und f(x) sei wie folgt definiert:

     f( x )={ 2 c n , für  c n x< c n+1 1, für x=1. MathType@MTEF@5@5@+= feaagKart1ev2aaatCvAUfeBSjuyZL2yd9gzLbvyNv2CaerbuLwBLn hiov2DGi1BTfMBaeXatLxBI9gBaerbd9wDYLwzYbItLDharqqtubsr 4rNCHbGeaGqiVu0Je9sqqrpepC0xbbL8F4rqqrFfpeea0xe9Lq=Jc9 vqaqpepm0xbba9pwe9Q8fs0=yqaqpepae9pg0FirpepeKkFr0xfr=x fr=xb9adbaqaaeGaciGaaiaabeqaamaabaabaaGcbaGaamOzamaabm aabaGaamiEaaGaayjkaiaawMcaaiabg2da9maaceaabaqbaeaabiqa aaqaaiaaikdacqGHsislcaWGJbWaaSbaaSqaaabaaaaaaaaapeGaam OBaaWdaeqaaOGaaeilaiaabccacaqGMbGaaei=aiaabkhacaqGGaGa am4yamaaBaaaleaapeGaamOBaaWdaeqaaOGaeyizImQaamiEaiabgY da8iaadogadaWgaaWcbaWdbiaad6gacqGHRaWkcaaIXaaapaqabaaa keaacaaIXaGaaeilaiaabccacaqGMbGaaei=aiaabkhacaqGGaGaam iEaiabg2da9iaaigdacaqGUaaaaaGaay5Eaaaaaa@57FD@

f ist offenbar in jedem Punkt cn unstetig, aber in I monoton fallend und daher integrierbar.

2. (vgl. dazu Literaturangabe [3], Bd. II, Nr 300, Beispiele und Ergänzungen.)

Sei f( x )={ 1 m , falls x= n m m,n und n,m teilerfremd 0, falls x irrational. MathType@MTEF@5@5@+= feaagKart1ev2aaatCvAUfeBSjuyZL2yd9gzLbvyNv2CaerbuLwBLn hiov2DGi1BTfMBaeXatLxBI9gBaerbd9wDYLwzYbItLDharqqtubsr 4rNCHbGeaGqiVu0Je9sqqrpepC0xbbL8F4rqqrFfpeea0xe9Lq=Jc9 vqaqpepm0xbba9pwe9Q8fs0=yqaqpepae9pg0FirpepeKkFr0xfr=x fr=xb9adbaqaaeGaciGaaiaabeqaamaabaabaaGcbaGaamOzamaabm aabaGaamiEaaGaayjkaiaawMcaaiabg2da9maaceaabaqbaeaabiqa aaqaamaalaaabaGaaGymaaqaaiaad2gaaaGaaeilaiaabccacaqGMb GaaeyyaiaabYgacaqGSbGaae4CaiaabccacaWG4bGaeyypa0ZaaSaa aeaacaWGUbaabaGaamyBaaaacaqGSaGaaeiiaiaad2gacaGGSaGaam OBaabaaaaaaaaapeGaeyicI4SaeSyfHuQaaeiiaiaabwhacaqGUbGa aeizaiaabccacaWGUbGaaiilaiaad2gacaqGGaGaaeiDaiaabwgaca qGPbGaaeiBaiaabwgacaqGYbGaaeOzaiaabkhacaqGLbGaaeyBaiaa bsgaa8aabaGaaGimaiaabYcacaqGGaGaaeOzaiaabggacaqGSbGaae iBaiaabohacaqGGaGaamiEaiaabccacaqGPbGaaeOCaiaabkhacaqG HbGaaeiDaiaabMgacaqGVbGaaeOBaiaabggacaqGSbGaaeOlaaaaai aawUhaaaaa@735A@

Wir betrachten f in dem Intervall I = [0, 1]. Dann ist f in allen irrationalen Punkten aus I stetig und in allen rationalen unstetig (vgl. Aufgabe 6, Kapitel 5). Folglich liegen die Unstetigkeitsstellen dicht in dem Intervall. Trotzdem ist die Funktion in I integrierbar.

Wir wenden uns nun der bestimmten Integration zusammengesetzter Funktionen zu.

Satz 9.13 Seien f und g in I integrierbar. Dann gilt :

(1) Ist h(x) = c für alle x I, so ist abh(x)dx = c(b - a).

(2)

Sind c1,c2 IR, so ist c1 f + c2 g in I integrierbar, und es ist

abc 1f(x) + c2g(x)dx = c1abf(x)dx + c 2abg(x)dx.

(3) f g ist in I integrierbar.

(4)

Ist g(x)0 für alle x I und ist 1 g beschränkt in I, dann ist 1 g in I integrierbar. (Zusammen mit (3) erhält man sofort die Integrierbarkeit von f 1 g = f g in I).

(5) |f| ist in I integrierbar, und es ist abf(x)dx ab|f(x)|dx.

Beweis. (1) und (2) beweist man sehr leicht mit Hilfe von Satz 9.9 unter Benutzung von Zwischensummen und entsprechenden Grenzwertbetrachtungen.

(3). (Beweis mit Hilfe des Riemann-Kriteriums) Wir betrachten den Fall: f(x),g(x) 0 in I. Hierauf lassen sich die restlichen Fälle zurückführen. Denn nach Voraussetzung sind f und g in I beschränkt, folglich gibt es eine Konstante d, so daß

     f1(x) := f(x) + d 0 und g1 := g(x) + d 0 in I.

Wenn die Behauptung für nicht-negative Funktionen schon gilt, dann ist f1 g1 in I integrierbar, und es ist

     f1 g1 = (f + d) (g + d) = f g + d (f + g) + d2,

und damit ist

     f g = f1 g1 - d (f + g) + d2.

Nach (1) und (2) ist f g dann in I für beliebige f,g integrierbar.

Wir beweisen jetzt die Behauptung für nicht-negative Funktionen. Es sei ε > 0. Gesucht ist eine Zerlegung 𝔷 = (a0,,an+1), so daß Sfg(𝔷) -S_fg(𝔷) < ε.

Für eine beliebige Zerlegung 𝔷 mit Ii = [ai,ai+1] gilt:

     Sfg(𝔷) -S_fg(𝔷) = i=0n(a i+1 - ai) sup xIif(x) g(x) - inf xIif(x) g(x) :=().

Wegen f(x),g(x) 0 ist

     sup xIif(x) g(x) sup xIif(x) :=Hfi sup xIig(x) :=Hgi

und

     inf xIif(x) g(x) inf xIif(x) :=hfi inf xIig(x) :=hgi.

Da f,g in I beschränkt sind, existiert ein c > 0, so daß Hfi,hgi c. Folglich ist

sup xIif(x) g(x) - inf xIif(x) g(x) Hfi Hgi - hfi hgi

= Hfi Hgi - Hfi hgi + Hfi hgi - hfi hgi

= Hfi c (Hgi - hgi) + hgi c (Hfi - hfi)

c (Hgi - hgi) + c (Hfi - hfi).

Insgesamt gilt also

Sfg(𝔷) -S_fg(𝔷) = i=0n(a i+1 - ai) ()

i=0n(a i+1 - ai) c (Hgi - hgi) + c (Hfi - hfi)

= c i=0n(a i+1 - ai)(Hgi - hgi) =Sg(𝔷)-S_g(𝔷) + c i=0n(a i+1 - ai)(Hfi - hfi) =Sf(𝔷)-S_f(𝔷).

Nach dem Riemannschen Integrierbarkeitskriterium existieren für f und g Zerlegungen 𝔷1 bzw.  𝔷2 von I, so daß Sg(𝔷1) -S_g(𝔷1) < ε 2c und Sf(𝔷2) -S_f(𝔷2) < ε 2c.

Wählt man jetzt 𝔷 als gemeinsame Verfeinerung von 𝔷1 und 𝔷2, dann ist nach den obigen Betrachtungen

     Sfg(𝔷) -S_fg(𝔷) < c ε 2c + c ε 2c = ε.

(4) und (5) beweist man ebenfalls mit dem Riemannkriterium durch geeignete Abschätzungen. Der Beweis soll hier weggelassen werden.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Satz 9.14 Ist f in [a,b] integrierbar und a < c < b, dann ist f in [a,c] und in [c,b] integrierbar, und es ist

     abf(x)dx =acf(x)dx +cbf(x)dx.

Beweis. Es sei ε > 0. Nach dem Riemannkriterium existiert eine Zerlegung 𝔷 = (a0,,an+1) von [a,b], so daß Sf(𝔷) -S_f(𝔷) < ε. O.B.d.A. sei c ein Unterteilungspunkt von 𝔷 (anderenfalls betrachtet man die Verfeinerung von 𝔷, die durch Hinzunahme des Punktes c entsteht). Sei c = ak und seien 𝔷1 = (a0,,ak) und 𝔷2 = (ak,,an+1). Dann sind 𝔷1, 𝔷2 Zerlegungen von [a,c] bzw. von [c,b]. Damit erhält man

     Sf(𝔷) -S_f(𝔷) = Sf(𝔷1) + Sf(𝔷2) -S_f(𝔷1) -S_f(𝔷2) < ε

und damit auch

     Sf(𝔷i) -S_f(𝔷i) < ε für i = 1, 2.

Folglich ist f in [a,c] und in [c,b] integrierbar.

Es sei nun (𝔷ν) eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge von [a,b], und in jeder Zerlegung 𝔷ν komme c als Unterteilungspunkt vor. Weiterhin seien 𝔷ν1 und 𝔷ν2 analog aus 𝔷ν gebildet, wie 𝔷1 und 𝔷2 aus 𝔷. Dann sind 𝔷ν1 und 𝔷ν2 Zerlegungen von [a,c] bzw. von [c,b]. Mit Hilfe von Satz 9.7 erhält man schließlich

     abf(x)dx = abf(x)dx = lim νS_f(𝔷ν)

= lim νS_f(𝔷ν1) + S_f(𝔷ν2)

= lim νS_f(𝔷ν1) + lim νS_f(𝔷ν2)

= acf(x)dx +cbf(x)dx

      = acf(x)dx +cbf(x)dx.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Korollar. Sei a = a0 < a1 < < an+1 = b und f in I = [a,b] integrierbar, dann ist f in jedem Teilintervall [ai,ai+1] I integrierbar, und es ist

     abf(x)dx = i=0naiai+1 f(x)dx.

Beweis. Den Beweis führt man leicht (mit Hilfe von Satz 9.14) induktiv über n.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Definition. Sei a < b und f in [a,b] integrierbar. Dann definieren wir

     baf(x)dx =Df -abf(x)dx und aaf(x)dx = Df 0.

Folgerung. Ist a = a0 < a1 < < an+1 = b und f in [a,b] integrierbar, dann ist

     i=0naiai+1 f(x)dx +baf(x)dx = 0.

9.5 Mittelwertsätze der Integralrechnung

Satz 9.15 Sei a < b, und seien f,g in I integrierbar. Dann gilt :   (1) Wenn f(x) 0 für jedes x I, so ist abf(x)dx 0.   (2) Wenn f(x) g(x) für jedes x I, so ist abf(x)dx abg(x)dx.

Beweis. (1). Sei 𝔷 = (a0,,an+1) eine Zerlegung von I und Ii = [ai+1,ai]. Dann ist wegen ai+1 - ai > 0 und inf xIif(x) 0 auch

     abf(x)dx = abf(x)dx S_ f(𝔷) = i=0n(a i+1 - ai) inf xIif(x) 0.

(2). Wenn f(x) g(x), so 0 g(x) - f(x) für jedes x I. Nach (1) gilt dann

     0 ab(g(x) - f(x))dx =abg(x)dx -abf(x)dx,

also auch

     abf(x)dx abg(x)dx.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Bemerkung. Ist a < b, f stetig und nicht negativ in I = [a,b] und abf(x) = 0, so ist f(x) = 0 für jedes x I.

Beweis. Gäbe es ein c I, so daß f(c) > 0, so wäre auch g(x) := f(x) -f(c) 2 für x = c positiv. Da mit f auch g stetig ist, existiert eine ε-Umgebung von c, so daß g in Uε(c) ebenfalls positiv ist. Ist 𝔷 = (a0,,an+1) eine Zerlegung, so daß c - ε und c + ε Zerlegungspunkte sind (ε hinreichend klein; für c = a bzw. c = b betrachtet man die entsprechende rechts- bzw. linksseitige Umgebung von c), etwa c - ε = ak und c + ε = ak+1, dann ist f(x) f(c) 2 in [ak,ak+1], also auch

     S_f(𝔷) (ak+1 - ak) inf xIkf(x) (ak+1 - ak) f(c) 2 > 0.

Damit ist

     abf(x)dx abf(x)dx S_ f(𝔷) > 0 .   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Satz 9.16 ( Erweiterter 1. Mittelwertsatz der Integralrechnung)

Sei a < b, seien f,g in I = [a,b] integrierbar, und g wechsle in I nicht das Vorzeichen ( d.h., g(x) 0 für alle x I oder g(x) 0 für alle x I). Dann gibt es ein μ IR mit inf xIf(x) μ sup xIf(x), so daß

     abf(x) g(x)dx = μ abg(x)dx.

Beweis. Sei g(x) 0 für alle x I (den verbleibenden Fall beweist man analog). Dann gilt für inf xIf(x) := μ1 und für sup xIf(x) := μ2 offenbar

     μ1 g(x) f(x) g(x) μ2 g(x)

und somit nach Satz 9.15

     μ1 abg(x)dx abf(x) g(x)dx μ 2 abg(x)dx.

Für A :=abg(x)dx und B :=abf(x)g(x)dx ist μ1A B μ2A und somit μ1 B A := μ μ2, falls A0; für A = 0 leistet μ = 0 das Verlangte.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Korollar. (1. Mittelwertsatz der Integralrechnung) Voraussetzungen über a,b,f,g,μ1,μ2 wie im Satz 9.16. Dann gilt :   (1) Ist g = 1 dann gibt es ein μ mit μ1 μ μ2, so daß abf(x)dx = μ (b - a).   (2)

Ist f in I stetig, dann gibt es ein ξ I, so daß abf(x) g(x)dx = f(ξ) abg(x)dx.

Beweis. (1) ist trivial.

(2). Da f in I stetig ist, nimmt f die Werte μ1 = inf xIf(x) und μ2 = sup xIf(x) als Funktionswerte an. Nach dem Zwischenwertsatz gibt es dann für μ mit μ1 μ μ2 auch ein ξ I, so daß μ = f(ξ). Damit gilt die Behauptung.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

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Wir werden jetzt mit Hilfe des bestimmten Integrals mit veränderlicher oberer Grenze neue Funktionen definieren. Dazu sei zunächst f eine in dem Intervall I definierte und beschränkte Funktion. Dann ist offenbar für jedes x I die Funktion f in jedem Teilintervall [a,x] I bestimmt integrierbar. Damit ist jedem x I durch axf(t)dt ein bestimmter Wert F(x) zugeordnet, d.h., durch F(x) :=axf(t)dt ist in I eine Funktion definiert. Wir leiten jetzt einige Eigenschaften dieser Funktion her.

Satz 9.17 Ist f in I integrierbar und x I, dann ist die durch F(x) :=axf(t)dt definierte Funktion F in I stetig.

Beweis. Wir haben zu zeigen, daß f in jedem Punkt c I stetig ist, d.h., wenn x c, so F(x) F(c). Es ist

     F(x) - F(c) = axf(t)dt -acf(t)dt

= axf(t)dt +caf(t)dt

= cxf(t)dt

= μx,c (x - c).

Die letzte Gleichheit folgt aus dem erweiterten 1. Mittelwertsatz der Integralrechnung, wobei μx,c zwischen dem Infimum und dem Supremum der Funktion f in dem Intervall [c,x] bzw.  in [x,c] liegt. Nach Voraussetzung ist f in I integrierbar, also auch beschränkt, folglich muß auch μx,c in I beschränkt sein. Wenn nun x c, so gilt auch μx,c (x - c) 0, und damit auch F(x) - F(c) 0. Folglich ist F in I stetig.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Satz 9.18 Ist f in I stetig und x I, dann ist die durch F(x) :=axf(t)dt definierte Funktion F in I differenzierbar, und es ist F = f (d.h., F ist eine Stammfunktion von f in I).

Beweis. Es gelte x,c I und xc. Dann erhält man mit Hilfe des 1. Mittelwertsatzes der Integralrechnung (Korollar (2)):

     F(x) - F(c) x - c = 1 x - c axf(t)dt -acf(t)dt

= 1 x - c cxf(t)dt

= 1 x - c f(ξx)cxdt, für ein ξ x zwischen c und x

= 1 x - c f(ξx) (x - c)

= f(ξx).

Nach Voraussetzung ist f in c stetig. Wegen x c und damit auch ξx c gilt: f(ξx) f(c). Folglich erhält man

     F(x) - F(c) x - c f(c) .

Daher ist F(c) = f(c) für jedes c I.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Bemerkung. Es soll noch einmal hervorgehoben werden, daß eine in I stetige Funktion dort eine Stammfunktion besitzt, und F(x) :=axf(t)dt ist die Stammfunktion von f in I, die an der Stelle x = a null wird (vgl. Abb. 9.12)

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Jetzt sind wir in der Lage, den folgenden wichtigen Satz zu formulieren, mit dessen Hilfe man bestimmte Integrale berechnen kann, wenn man eine Stammfunktion der zu integrierenden Funktion schon kennt.

Satz 9.19 (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung)

Ist f in [a,b] stetig und F eine Stammfunktion von f in [a,b], dann ist      abf(x)dx = F(b) - F(a).

Beweis. Sei F eine (beliebige) Stammfunktion von f und F0(x) =axf(t)dt. Dann ist F0(a) = 0 und abf(t)dx = F 0(b) = F0(b) - F0(a). Da F und F0 Stammfunktionen der gleichen Funktion f in einem Intervall sind, unterscheiden sie sich nur um eine additive Konstante, also F0(x) = F(x) + c. Dann gilt

     F0(b) - F0(a) = F(b) + c - F(a) - c = F(b) - F(a).

Damit gilt die Behauptung.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

     Bez.: F(b) - F(a) := [F(x)]ab := F(x) ab.

Bemerkung. Um also das bestimmte Integral abf(x)dx für eine stetige Funktion berechnen zu können, genügt es, eine Stammfunktion F von f zu kennen und die entsprechnede Differenz F(b) - F(a) zu berechnen.

Unstetige Funktionen können bestimmt integrierbar sein, ohne eine Stammfunktion zu besitzen (vgl. Aufgabe 13, Kap. 9).

Andererseits gibt es Funktionen, die eine Stammfunktion besitzen, aber nicht bestimmt integrierbar sind (vgl. Aufgabe 14, Kap. 9).

Bestimmte und unbestimmte Integrierbarkeit sind also unabhängig voneinander.

Zur Erinnerung sei noch einmal erwähnt, daß eine Funktion f in dem Intervall [a,b] stetig differenzierbar ist, wenn f in [a,b] differenzierbar und die Ableitung von f dort stetig ist. Wir wollen uns jetzt mit der partiellen Integration und der Substitutionsregel bei bestimmten Integralen befassen.

Satz 9.20 (partielle Integration)

Sind f und g in [a,b] stetig differenzierbar, dann ist      abf(x)g(x)dx = [f(x)g(x)] ab -abf(x)g(x)dx.

Beweis. Offenbar ist mit f und g auch f g in [a,b] differenzierbar, und es gilt (f g) = fg + fg. Folglich ist f g eine Stammfunktion von fg + fg. Aufgrund der Stetigkeit von f und g sind auch f g, f g und f g + f g stetig. Dann gilt nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung:

     [f(x)g(x)]ab = abf(x)g(x) + f(x)g(x)dx

= abf(x)g(x)dx +abf(x)g(x)dx.

Also

     abf(x)g(x)dx = [f(x)g(x)] ab -abf(x)g(x)dx.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Satz 9.21 (Substitutionsregel)

Ist f in [a,b] stetig, g in [α,β] stetig differenzierbar und g([α,β]) = [a,b], g(α) = a und g(β) = b, dann gilt      αβf(g(x)) g(x)dx =a=g(α)b=g(β)f(t)dt. Ist außerdem g injektiv, also α = g-1(α) und β = g-1(b), dann ist      abf(t)dt =g-1(a)g-1(b)f(g(x)) g(x)dx.

Beweis. Sei F eine Stammfunktion von f; sie existiert nach Satz 9.18. Dann ist offenbar F(g(x)) eine Stammfunktion von f(g(x)) in [α,β]. Außerdem ist f(g(x)) g(x) in [α,β] stetig. Folglich gilt nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung

     αβf(g(x)) g(x)dx = [F(g(x))] αβ

= F(g(β)) - F(g(β))

= F(b) - F(a)

= abf(t)dt.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Satz 9.22 (2. Mittelwertsatz der Integralrechnung) Ist f in [a,b] monoton und differenzierbar und sind f, g in [a,b] stetig, dann gibt es ein ξ [a,b], so daß abf(x)g(x)dx = f(a)aξg(x)dx + f(b)ξbg(x)dx.

Beweis. Ist f konstant, dann ist die Behauptung trivial.

Sei nun f nicht konstant und o.B.d.A. sei f in [a,b] monoton wachsend, folglich ist f(a) < f(b). (Für monoton fallende Funktionen verläuft der Beweis analog.) Dann ist f(x) 0 für alle x [a,b] und f(c) > 0 für wenigstens ein c [a,b].

Aus dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung und der Bemerkung zum Satz 9.15 und folgt

     abf(x)dx = f(b) - f(a) > 0.

Es sei jetzt G(x) :=axg(t)dt. Nach Satz 9.18 ist G in [a,b] differenzierbar und G = g. Mit Hilfe der partiellen Integration (Satz 9.20) erhält man

     abf(x)g(x)dx = f(x)G(x) ab -abf(x)G(x)dx. ()

Nach dem Korollar zum erweiterten 1. Mittelwertsatz der Integralrechnung gibt es ein ξ (a,b), so daß

     abf(x)G(x)dx = G(ξ)abf(x)dx

= G(ξ)f(b) - f(a)

= f(b)G(ξ) - f(a)G(ξ). ()

Wegen G(a) = 0 und G(b) - G(ξ) =ξbg(x)dx gilt nach () und ()

     abf(x)g(x)dx = f(b)G(b) - f(a)G(a) - f(b)G(ξ) + f(a)G(ξ)

= f(a)G(ξ) + f(b)G(b) - G(ξ)

= f(a)aξg(xdx) + f(b)ξbg(x)dx.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>
9.6 Volumen von Rotationskörpern

Wir wenden uns jetzt der Bestimmung des Volumens eines sogenannten Rotationskörpers zu. Zunächst soll aber definiert werden, was unter einem solchen Körper zu verstehen ist.

Dazu sei I = [a,b] ein abgeschlossenes Intervall mit a < b und sei f eine in I definierte und integrierbare Funktion, die in dem Intervall nicht negativ wird. Dann bestimmt die Punktmenge

     M := {(x,y) : a x b, 0 y f(x)}

bekanntlich eine Fläche. Läßt man nun diese Fläche um die x-Achse rotieren, dann entsteht eine Rotationsfigur oder ein Rotationskörper (vgl. Abb. 9.13).

Wir interessieren uns nun für die Frage, ob man diesem Rotationskörper in „vernünftiger“ Weise ein Volumen zuschreiben kann, und wie man gegebenenfalls dieses Volumen definieren und berechnen könnte.

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Das Problem ist aufgeworfen, wir versuchen es zu lösen. Dazu sei 𝔷 = (a0,,an+1) eine Zerlegung von I. Parallele Ebenen im IR3, die zur x-Achse senkrecht stehen und durch die jeweiligen Zerlegungspunkte auf der x-Achse gehen, schneiden aus der Rotationsfigur Kreisscheiben heraus. Das angenäherte Volumen der Kreisscheibe, die durch die Zerlegungspunkte ai und ai+1 bestimmt wird, kann durch einen geeigneten Kreiszylinder angegeben werden. Dazu sei ξi [ai,ai+1] beliebig. Dann ist durch (ai+1 - ai)f2(ξ i) π das Volumen des entsprechenden Zylinders mit der Höhe h = ai+1 - ai und dem Radius f(ξi) gegeben. ξi ist eine Zwischenstelle in [ai,ai+1] (vgl. Abb. 9.8). Entsprechend dieser Überlegung ist durch

     = i=0n(a i+1 - ai) f2(ξ i) π

das angenäherte Volumen der gesamten Rotationsfigur bestimmt. Diese Summe ist offensichtlich eine Zwischensumme der Funktion π f2(x) bei der Zerlegung 𝔷 und dem Zwischenstellensystem τ = (ξ0,,ξn). Nach Voraussetzung ist f in I integrierbar, folglich ist auch πf2 in I integrierbar. Betrachtet man jetzt eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge (𝔷ν) von I und eine Folge (τν) von zugehörigen Zwischenstellensystemen, dann existiert lim νSπf2(𝔷ν,τν), und der Limes ist gleich dem Integral abπf2(x)dx. Daher definiert man das Volumen V der Punktmenge M wie folgt:

     V := lim νSπf2(𝔷ν,τν) =abπf2(x)dx = πabf2(x)dx.

Beispiele.

(1). Ist f konstant, f = r, dann erhält man mit dieser Formel den Rauminhalt eines Kreiszylinders mit der Höhe b - a und dem Radius r.

     V = πabf2(x)dx = πabr2dx = πr2(b - a) = r2πh.

(2). Es sei f(x) = x und I = [0, 1]. Dann ist das Volumen des entsprechenden Rotationskörpers gegeben durch

     V = πabf2(x)dx = π01xdx = π x2 2 01 = π 2.

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(3). Es sei jetzt I = [1, 2] und f,g seien in I definierte Funktionen, so daß f(x) = x und g(x) = 1.

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Wir lassen die durch f und g bestimmte Fläche um die x-Achse rotieren und bestimmen das Volumen des entsprechenden Rotationskörpers.

     V = π12(f2(x) - g2(x))dx = π12(x2 - 1)dx = π(1 3x3 - x) 12 = 4π 3 .

Als Spezialfall erhält man das Volumen eines Kegels mit der Höhe h und dem Radius r. Hierfür ist nämlich f(x) = r h x und I = [0,h]. Also

     V = π0h r2 h2x2dx = r2πh 3 .

(4). Wir berechnen jetzt das Volumen eines Torus.

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Dazu betrachten wir die Gleichung (y - R)2 + x2 = r2 eines Kreises mit dem Mittelpunkt (0,R) und dem Radius r. Löst man diese Gleichung nach y auf, dann erhält man zwei Funktionen f(x) = R + r2 - x2 und g(x) = R -r2 - x2; den oberen und unteren Kreisbogen des Kreises. Läßt man die Fläche des entsprechenden Kreises um die x-Achse rotieren, dann erhält man einen Torus. Dessen Volumen ist gegeben durch

     V =-rr(f2(x) - g2(x))dx.

Es gilt

    f2(x) - g2(x) = R2 + 2Rr2 - x2 + r2 - x2 - (R2 - 2Rr2 - x2 + r2 - x2)

= 4Rr2 - x2,

und damit gilt

     V = 4πR-rrr2 - x2.

Wir lösen zunächst das unbestimmte Integral, um eine Stammfunktion zu erhalten. Es ist

     r2 - x2dx = r1 - x r2dx

= r1 - t2 rdt; (für x r = t)

= r21 - sin 2 z cos zdz; (für t = sin z)

= r2 cos 2zdz       ()

= r2(sin z cos z +sin 2z =1-cos 2zdz); (partielle Integration)

= r2(sin z cos z + z) - r2 cos 2zdz.

Aus () und der letzten Zeile folgt

     2r2 cos 2zdz = r2 2 sin z cos z + z = r2 2 sin z1 - sin 2 z + z.

Damit haben wir das unbestimmte Integral – allerdings bezüglich z – gelöst. Wir wollen aber das bestimmte Integral bezüglich x in den Grenzen von - r bis r berechnen. Dazu müßten noch die Grenzen entsprechend der Substitutionen transformiert oder die Substitutionen rückgängig gemacht werden. Folgende Substitutionen wurden vorgenommen:

     t = sin z z = arcsin t und x r = t z = arcsin x r.

Für - r x r gilt -1 x r 1 und schließlich -π 2 arcsin x r π 2.

In den betrachteten Intervallen sind die Transformationen bijektiv, folglich ist

     -rrr2 - x2dx = r2 2 sin(arcsin x r) 1 - sin (arcsin x r)2 + arcsin x r-rr

= r2 2 x r 1 - x r2 + arcsin x r-rr

= r2 2 arcsin 1 - arcsin(-1)

= r2 2 π 2 - (-π 2)

= r2π 2

Das gleiche Ergebnis erhält man, indem die Integrationsgrenzen entsprechend transformiert werden:

     -rrr2 - x2dx = r2 2 sin z cos z + z-π 2 π 2

= r2 2 π 2 - (-π 2)

= r2π 2 .

Also

     V = 4πR r2π 2 = 2r2Rπ2.

Allgemeiner gilt die 1. Guldinsche Regel:

Das Volumen eines Rotationskörpers ist gleich dem Flächeninhalt der rotierenden Fläche, multipliziert mit dem Umfang des Kreises, der durch den Mittelpunkt (oder Schwerpunkt) der rotierenden Fläche beschrieben wird.

9.7 Uneigentliche Integrale

Beim Riemann-Integral wurde stets vorausgesetzt, daß die zu integrierenden Funktionen in einem abgeschlossenen (endlichen) Intervall definiert und beschränkt sind. Für manche Zwecke ist es vorteilhaft, auch Integrale über unendlichen Intervallen oder über unbeschränkten Funktionen zuzulassen. Dies führt zum sogenannten uneigentlichen Integral.

Definition. (uneigentliches Integral über unendlichen Intervallen ) Es sei a eine reelle Zahl, f sei für alle x a definiert und in [a,x] integrierbar, und es sei F(x) := axf(t)dt. f ist in [a,) = {x : a x} uneigentlich integrierbar =Df

Es existiert lim xF(x). Der Limes heißt dann uneigentliches Integral von f in [a,).

     Bez.: af(t)dt

Ist f in [a,) uneigentlich integrierbar, dann heißt af(t)dt konvergent, anderenfalls divergent.

Ist |f| in [a,) uneigentlich integrierbar, dann heißt af(t)dt absolut konvergent.

Analog definiert man das uneigentliche Integral von f in (-,a]. Hierbei sei f für jedes x a definiert und in [x,a] integrierbar. Man betrachtet dann F(x) := xaf(t)dt und lim x-F(x).

Definition. f ist in (-,) uneigentlich integrierbar =Df

Es existiert ein a IR, so daß f in (-,a] und in [a,) uneigentlich integrierbar ist.
-f(t)dt = Df
-af(t)dt +af(t)dt heißt uneigentliches Integral von f in (-,).

Beispiele.

(1). Es sei f(t) = 1 1 + t2.

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Gesucht ist das uneigentliche Integral von f in (-,).

Es ist -f(t)dt =-af(t)dt +af(t)dt für beliebiges a IR.

Wir betrachten

     F(x) = 0xf(t)dx =0x dt 1 + t2 = arctan t0x

= arctan x -arctan 0 =0 = arctan x.

Damit gilt lim xF(x) = lim x arctan x = π 2. Also

     0 dt 1 + t2 = π 2.

Analog ist

     G(x) =x0 dt 1 + t2dt = arctan 0 - arctan x = - arctan x

und

     lim x-G(x) = lim x-(- arctan x) = -(-π 2) = π 2.

Folglich ist

     -0 dt 1 + t2 = π 2   und somit   - dt 1 + t2 = π.

Bemerkung. arctan x könnte auch durch f(x) =0x dt 1 + t2 definiert werden. Interpretiert man das uneigentliche Integral als Fläche, dann schließt die Funktion f(x) = 1 1 + t2 mit der x-Achse in dem unendlichen Intervall (-,) eine „endliche“ Fläche ein.

(2). Wir betrachten jetzt die Funktion f(t) = 1 t und zeigen, daß das uneigentliche Integral 1dt t nicht konvergiert. Dies bedeutet anschaulich gesprochen, daß die „Fläche“, die von oben durch die Funktion und von unten durch die x-Achse in dem Intervall [1,) begrenzt wird, unendlich groß ist (vgl. Abb. 9.18).

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Es ist

     F(x) =1xdt t = ln t1x = ln x - ln 1 = ln x

und

     lim xF(x) = lim x ln x = ;

d.h. der Limes existiert nicht.

Wir betrachten jetzt uneigentliche Integrale über unbeschränkten Funktionen.

Definition. (uneigentliche Integrale über unbeschränkten Funktionen ) Es sei a < b und es gelte eine der Bedingungen:

(1) f ist in [a,b) definiert und für jedes x [a,b) in [a,x] integrierbar. (2) f ist in (a,b] definiert und für jedes x (a,b] in [x,b] integrierbar. (3)

a < c < b, und f ist für jedes x1,x2 [a,b] mit a x1 < c < x2 b in [a,x1] und in [x2,a] integrierbar.

f ist in [a,b] uneigentlich integrierbar

=Df

(1) lim xb x<b axf(t)dt existiert bzw. (2) lim xa x>a xbf(t)dt existiert bzw. (3) lim xc x<c axf(t)dt und lim xc x>c xbf(t)dt existieren.

Diese Limites heißen – falls sie existieren – uneigentliche Integrale von f in [a,b], und abf(t)dt heißt dann konvergent, anderenfalls divergent.

Die folgenden Abbildungen sollen einige Möglichkeiten für die Bildung von uneigentlichen Integralen über beschränkten Intervallen und unbeschränkten Funktionen veranschaulichen.

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Beispiel. Es sei [a,b] = [0, 1] und f(t) = 1 t. Es soll 01f(t)dt berechnet werden, falls das uneigentliche Integral konvergiert. Für 0 < x 1 ist f in [x, 1] stetig und damit auch integrierbar. Es ist

     F(x) :=x1f(t)dt =x1t-1 2 dt = 2tx1 = 2(1 -x).

Folglich gilt

     01 dt t = lim x0 x>_0 2(1 -x) = 2.

Die verschiedenen Typen von uneigentlichen Integralen über unendlichen Intervallen bzw. über unbeschränkten Funktionen lassen sich natürlich auch kombinieren.

Tiefergehende Untersuchungen über uneigentliche Integrale findet man z.B. in der Literaturangabe [3], Band II, XII Uneigentliche Integrale, Seite 574 – 676.

9.8 Länge von Kurven

Zur Erinnerung: 𝖐 = {f(t) : a t b} ist eine Kurve in IRk, falls f : [a,b] IRk eine stetige Vektorfunktion ist.

Definition. (doppelpunktfrei ) 𝖐 ist doppelpunktfrei =Df

für jedes t1,t2 [a,b] mit t1 < t2 und t1a oder t2b gilt f(t1)f(t2). Eine doppelpunktfreie Kurve heißt auch Jordan-Kurve. Ist in der obigen Darstellung f(a) = f(b), dann heißt 𝖐 geschlossene Kurve.

Beispiele. Wir geben jetzt einige wichtige Beispiele von Kurven an (vgl. auch die Abbildungen 6.9 und 6.10 aus dem Kapitel 6).

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Die nächste Abbildung zeigt eine sog. Schraubenlinie.

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Unser Ziel ist es nun, die Länge einer Kurve zu definieren bzw. zu berechnen. Für beliebige Kurven wird sich eine Länge nicht definieren lassen. Daher betrachten wir jetzt einige speziellere Klassen von Kurven.

Definition.

Sei 𝖐 = {f(t) : a t b} eine Kurve mit der Parameterdarstellung f : [a,b] IRk.

(1)

𝖐 ist stetig differenzierbar in [a,b] =Df
f ist stetig differenzierbar in [a,b].

(2)

𝖐 ist glatt in [a,b] =Df
f ist stetig differenzierbar in [a,b] und f(t)0 für jedes t [a,b].

(3)

𝖐 ist stückweise glatt in [a,b] =Df
Es existiert eine Zerlegung 𝔷 = (a0,,an+1) von [a,b], so daß 𝖐 in je- dem Teilintervall [ai,ai+1] glatt ist.

Es sei 𝖐 = {f(t) : a t b} zunächst eine Kurve und 𝔷 = (a0,,an+1) eine Zerlegung von [a,b]. Verbindet man die Bildpunkte f(a0),,f(an+1) 𝖐 von a0,,an+1 der Reihe nach durch Verbindungsstrecken, dann entsteht ein der Kurve einbeschriebener Polygonzug P𝔷 (vgl. Abb. 9.23). Der Abstand zwischen je zwei „benachbarten“ Bildpunkten f(ai) und f(ai+1) auf der Kurve beträgt |f(ai+1) - f(ai))|. Folglich ist die Länge des Polygonzuges gegeben durch

     l(P𝔷) = i=1n|f(a i+1) - f(ai)|.

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Wir definieren jetzt, was unter der Länge einer Kurve zu verstehen ist.

Definition. (Länge einer Kurve ) Sei 𝖐 eine Kurve mit der Parameterdarstellung 𝖐 = {f(t) : a t b}. 𝖐 ist rektifizierbar (d.h. 𝖐 besitzt eine Länge ) =Df

Es existiert sup{l(P𝔷) : 𝔷 beliebige Zerlegung von [a,b]}. Das Supremum heißt, falls es existiert, Länge der Kurve und wird mit l(𝖐) bezeichnet.

Es sei jetzt 𝖐 = {f(t) : a t b} eine stetig differenzierbare Kurve in IRk. Insbesondere ist f : [a,b] IRk, f = (f1,,fk) und fj : [a,b] IR stetig differenzierbar für jedes j = 1,,k. Weiterhin sei 𝔷 = (a0,,an+1) eine Zerlegung von [a,b], und der Einfachheit halber sei u := ai und v := ai+1. Der Abstand zwischen den auf der Kurve liegenden Punkten f(u) und f(v) beträgt

     |f(v) - f(u)| = f1(v),,fk(v) -f1(u),,fk(u)

= f1(v) - f1(u),,fk(v) - fk(u) = ().

Nach Voraussetzung sind f1,,fk differenzierbar in [u,v]. Folglich gibt es nach dem 1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung für jedes fj ein ξij [u,v], so daß

     fj(v) - fj(u) = fj(ξ ij)(v - u). (ξij hängt von [ai,ai+1] = [u,v] und fj ab.)

Folglich ist

     |f(v) - f(u)| = () = f1(ξ i1) (v - u),,fk(ξ ik) (v - u)

           = f1(ξ i1),,fk(ξ ik) (v - u)

           = j=1kf j(ξij)2 (v - u).

Also

     |f(ai+1) - f(ai)| = j=1kf j(ξij)2 (ai+1 - ai).

Die Länge des einbeschriebenen Polygonzuges ist somit

     l(P𝔷) = i=0n|f(a i+1) - f(ai)|

        = i=0n j=1kf j(ξij)2 (ai+1 - ai).

Die letzte Summe sieht einer Zwischensumme bezüglich der Funktion

     g(t) = |f(t)| = |(f 1(t),,f k(t))| = j=1kf j(t)2

ähnlich. Offenbar ist für ξi [ai,ai+1], i = 1,,n und τ = (ξ0,,ξn),

     Sg(𝔷,τ) = i=0ng(ξ i) (ai+1 - ai)

= i=0n j=1kfj(ξi)2 (ai+1 - ai)

eine Zwischensumme. Wir werden jetzt zeigen, daß sich l(P𝔷) und Sg(𝔷,τ) bei geeigneten Zerlegungen um beliebig wenig unterscheiden.

Lemma. Es sei 𝖐 eine durch f : [a,b] IRk definierte und stetig differenzierbare Kurve. Weiterhin sei (𝔷ν) eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge von [a,b], und (τν) sei eine Folge zugehöriger Zwischenstellensysteme von (𝔷ν). Dann folgt :

Für jedes ε > 0 gibt es ein ν0, so daß für jedes ν ν0 gilt :

|l(P𝔷ν) - Sg(𝔷ν,τν)| < ε, wobei g(t) = |f(t)| = j=1kfj(t)2.

Beweis. Sei 𝔷ν = (a0ν,,a nν+1ν) und τν = (ξ1ν,,ξ nν). Dann gilt

  |l(P𝔷ν) - Sg(𝔷ν,τν)|

     = i=0nν j=1kfj(ξijν)2 (ai+1ν - a iν)- i=0nν j=1kfj(ξiν)2 (ai+1ν - a iν)

     = i=0nν j=1kfj(ξijν)2 - j=1kfj(ξiν)2 (ai+1ν - a iν)

     i=0nν |ᾱi|-|β̄i| (ai+1ν - a iν) ,

wobei ᾱi = f1(ξ i1ν),,f k(ξ ikν und β̄i = f1(ξ iν),,f k(ξ iν)

     i=0nν |ᾱi -β̄i| (ai+1ν - a iν)

     = i=0nν j=1kfj(ξijν) - fj(ξiν)2 (ai+1ν - a iν) = ().

Nach Voraussetzung sind die Funktionen fj stetig in [a,b], also sind sie auch gleichmäßig stetig. Folglich erhält man: Für jedes ε > 0 existiert ein δ > 0, so daß für alle ξijν, ξ iν [a,b] mit |ξijν - ξ iν| < δ gilt: |fj(ξ ijν) - f j(ξ iν)| < ε, also auch fj(ξ ijν) - f j(ξ iν)2 < ε2.

Wählt man ν0 so groß, daß d(𝔷ν) < δ für alle ν ν0, dann erhält man

     () = l(P𝔷ν) - Sg(𝔷ν,τν) < i=0nν j=1kε2 (ai+1ν - a iν)

= εk i=0nν (ai+1ν - a iν) =b-a

= εk (b - a).

Wir wählen jetzt

     ε = ε k (b - a).

Dann ist

     l(P𝔷ν) - Sg(𝔷ν,τν) < εk (b - a) = k (b - a) ε k (b - a) = ε.   <mi 
>P</mi><mi >I</mi><mi >C</mi><mi >T</mi>

Satz 9.23 Es sei f : [a,b] IRk und 𝖐 = {f(t) : a t b} eine stetig differenzierbare Kurve. Dann ist 𝖐 rektifizierbar, und es gilt

     l(𝖐) =ab|f(t)|dt =ab i=1kfj(t)2dt.

Beweis. Wir zeigen zunächst, daß die Menge

     M = {l(P𝔷) : 𝔷 Zerlegung von [a,b]}

nach oben beschränkt ist ( es existiert supM, und somit ist 𝖐 rektifizierbar).

Angenommen, M ist nicht nach oben beschränkt. Dann gibt es eine Folge (𝔷ν) von Zerlegungen des Intervalls [a,b], so daß die Folge l(P𝔷ν) nicht nach oben beschränkt ist. Sei o.B.d.A.  (𝔷ν) eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge (durch entsprechende Verfeinerungen läßt sich dies immer erreichen; und aufgrund der Dreiecksungleichung wird bei einer verfeinerten Zerlegung der einbeschriebene Polygonzug höchstens länger). Nach dem Lemma gilt dann für g(t) = |f(t)|.

     lim νl(P𝔷ν) =αν - Sg(𝔷ν,τν) =βν = 0.

Wegen der Stetigkeit von g(t) = |f(t)| in [a,b] ist |f(t)| als reellwertige Funktion einer reellen Veränderlichen in [a,b] integrierbar. Folglich gilt nach Satz 9.9

     lim νβν =ab|f(t)|dt := d IR.

Da βν d und (αν - βν) eine Nullfolge ist, muß auch die Folge (αν) gegen d konvergieren. Dies führt zum Widerspruch.

Folglich gilt αννl(𝖐), und damit ist l(𝖐) =ab|f(t)|dt.   <mi 
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Korollar. Ist g : [a,b] IR stetig differenzierbar, f(t) = t, g(t) := f1(t), f2(t) und 𝖐 = {f(t) : a t b}, dann ist 𝖐 rektifizierbar und

     l(𝖐) =ab1 + g 2 (t)dt.

Beweis. Die Rektifizierbarkeit von 𝖐 ist offensichtlich.

Weiterhin gilt |f(t)| = |(t, g(t))| = f 1(t)2 + f2(t)2 = 1 + g 2 (t).   <mi 
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Bemerkung. Betrachtet man eine Kurve, die (wie im Korollar) durch eine reellwertige Funktion einer Veränderlichen definiert ist, dann erhält man eine vereinfachte Formel für die Länge dieser Kurve.

Beispiele.

(1). Verbindungsstrecke zweier Punkte in der Ebene.

Es sei a¯ = (1, 1) und b¯ = (3, 2). Wählt man als Parameterintervall [0, 1], dann ist durch f(t) = a¯ + t(b¯ -a¯) = (1 + 2t, 1 + t) := f1(t),f2(t) eine Parameterdarstellung der Verbindungsstrecke 𝖐 gegeben. Offenbar sind f1,f2 in [0, 1] stetig differenzierbar und f1(t) = 2, f 2(t) = 1 und damit f(t) = (2, 1) für jedes t [0, 1]. Folglich ist 𝖐 rektifizierbar und

     l(𝖐) =01|f(t)|dt =01|(2, 1)|dt =0122 + 12dt = 5.

Natürlich hätte man das Ergebnis in diesem einfachen Fall auch ohne Integrale erhalten.

(2). Umfang eines Kreises mit dem Radius r.

Wir betrachten einen Kreis mit dem Mittelpunkt (0, 0) und dem Radius r (vgl. auch Abb. 9.20).

Für die Kreislinie 𝖐 ist durch f : [0, 2π] IR2 mit f(t) = (r cos t, r sin t) eine Parameterdarstellung gegeben. Offenbar ist f in [0, 2π] stetig differenzierbar und f(t) = (-r sin t, r cos t). Folglich ist

     |f(t)| = r2 sin 2 t + r2 cos 2 t = r

und damit

     l(𝖐) =02π|f(t)|dt =02πrdt = r2π.

(3). Länge der Schraubenlinie (vgl. Abb. 9.22).

Wir betrachten eine Schraubenlinie mit dem Radius r und zwei „Gewindegängen“. Es sei f : [0, 4π] IR3, f(t) = (r cos t, r sin t, ct), c0. f ist in [0, 4π] stetig differenzierbar und f(t) = (-r sin t, r cos t, c). Dann ist

     |f(t)| = r2 sin 2 t + r2 cos 2 t + c2dt = r2 + c2.

Damit erhält man

     l(𝖐) =04πr2 + c2dt = r2 + c2 4π.

(4). Länge der Normalparabel, definiert im Intervall [0, 1] (Beispiel für die Berechnung der Länge einer Kurve mit Hilfe des Korollars zu Satz 9.23).

Es sei g : [0, 1] IR mit g(t) = t2 und f(t) = t, g(t). Dann ist durch 𝖐 = {f(t) : 0 t 1} eine stetig differenzierbare Kurve gegeben und f(t) = (1,2t). Also

     l(𝖐) =011 + (g (t))2dt =011 + 4t2dt = ()

Man berechnet zunächst am besten das unbestimmte Integral

     1 + 4t2dt = 1 21 + z2dz

           = 1 2(z 1 + z2) + ln(z + 1 + z2)

           = 1 2(2t 1 + 4t2) + ln(2t + 1 + 4t2).

(Die eigentliche Berechnung des Integrals 1 + z2dz bleibt als Übungsaufgabe.) Also

     l(𝖐) = 1 225 + ln(2 + 5).

Bemerkung. Die Stetigkeit von f ist nicht hinreichend für die Rektifizierbarkeit der entsprechenden Kurve 𝖐. Wir betrachten als Beispiel die Funktion

     f( t )={ ( t,tsin π 2t ) für t0, ( 0,0 ) für t=0.   MathType@MTEF@5@5@+= feaagKart1ev2aaatCvAUfeBSjuyZL2yd9gzLbvyNv2CaerbuLwBLn hiov2DGi1BTfMBaeXatLxBI9gBaerbd9wDYLwzYbItLDharqqtubsr 4rNCHbGeaGqiVu0Je9sqqrpepC0xbbL8F4rqqrFfpeea0xe9Lq=Jc9 vqaqpepm0xbba9pwe9Q8fs0=yqaqpepae9pg0FirpepeKkFr0xfr=x fr=xb9adbaqaaeGaciGaaiaabeqaamaabaabaaGcbaGaamOzamaabm aabaGaamiDaaGaayjkaiaawMcaaiabg2da9maaceaabaqbaeqabiqa aaqaamaabmaabaGaamiDaiaacYcacaWG0bGaci4CaiaacMgacaGGUb WaaSaaaeaacqaHapaCaeaacaaIYaGaamiDaaaaaiaawIcacaGLPaaa caqGGaGaaeOzaiaabYpacaqGYbGaaeiiaiaadshacqGHGjsUcaaIWa GaaeilaaqaamaabmaabaGaaGimaiaacYcacaaIWaaacaGLOaGaayzk aaGaaeiiaiaabAgacaqG8dGaaeOCaiaabccacaWG0bGaeyypa0JaaG imaiaab6caaaaacaGL7baacaqGGaaaaa@5B3E@

f ist in [0, 1 4] stetig, aber nicht rektifizierbar.

PICT

PICT

Wir betrachten jetzt die Funktion g : [0, 1 4] IR mit g(t) = t sin π 2t und die Kurve 𝖐 := {f(t) = (t,g(t)) : 0 t 1 4} und zeigen, daß 𝖐 nicht rektifizierbar ist.

Dazu sei 1 n < k und 𝔷k = ( 1 4k,, 1 4n + 4 a, 1 4n + 3 u, 1 4n + 2 b, 1 4n + 1 v, 1 4n c,, 1 4) eine Zerlegung von [ 1 4k, 1 4] (siehe auch Abb. 9.25).

Wir berechnen zunächst den Abstand zwischen den Punkten (a, 0) und (u,f(u) -u) in IR2. Es ist

     |(u,-u) - (a, 0)| = 1 4n + 3 - 1 4n + 4, - 1 4n + 3

           = 1 (4n + 3)(4n + 4), - 4n + 4 (4n + 3)(4n + 4)

           = 1 (4n + 3)(4n + 4) (1, - (4n + 4))

           = 1 (4n + 3)(4n + 4) 1 + (4n + 4)2

           1 4n + 3.

Völlig analog ist

     |(u,-u) - (b, 0)| 1 4n + 3.

Ebenso zeigt man, daß die Abstände zwischen (b, 0) und (v,f(v) =v) bzw. zwischen (v,v) und (c, 0) größer oder gleich 1 4n+1 sind.

Insgesamt erhält man, daß der Polygonzug Pn eine Länge

     l(Pn) 2 1 4n + 3 + 2 1 4n + 1 1 n + 1

besitzt. Für die Länge des gesamten (einbeschriebenen) Polygonzuges P𝔷k bezüglich des Intervalls [ 1 4k, 1 k] ist dann

     l(P𝔷k) n=1k 1 n + 1;

und diese Summe ist für k , also für 1 4k 0, nicht beschränkt. Folglich ist 𝖐 nicht rektifizierbar.

Im nächsten Abschnitt befassen wir uns mit der Integrierbarkeit der Grenzfunktion bei Funktionenfolgen und -reihen.

9.9 Integrierbarkeit der Grenzfunktion bei Folgen und Reihen von Funktionen

Satz 9.24 (Integrierbarkeit der Grenzfunktion) Sei a < b, I = [a,b] und (fn) eine Folge von Funktionen, die in dem Intervall I definiert sind. Dann gilt :

  (1)

Konvergiert (fn) in I gleichmäßig gegen die Funktion f und sind alle fn in I integrierbar, dann ist f in I integrierbar, und es ist abf(x)dx =ab lim nfn(x)dx = lim nabf n(x)dx. (Vertauschbarkeit des Limes mit dem Integral)

  (2)

Konvergiert n=0f n(x) in I gleichmäßig gegen die Funktion f und sind alle fn in I integrierbar, dann ist f in I integrierbar, und es ist abf(x)dx =ab n=0f n(x)dx = n=0abf n(x)dx. (Vertauschbarkeit des Integrals mit der unendlichen Summe)

Beweis. (1). Sei ε > 0. Nach Definition der gleichmäßigen Konvergenz gibt es ein n0, so daß für jedes n n0 und für jedes x I gilt:

     |fn(x) - f(x)| < ε 3(b - a) := ε.

Da fn in I integrierbar ist, ist fn und damit auch f in I beschränkt. Mit Hilfe des Riemannschen Integrierbarkeitskriteriums zeigen wir, daß f in I integrierbar ist.

Sei n n0 fixiert. Nach der obigen Ungleichung ist

     fn(x) - ε < f(x) < f n(x) + ε für alle x I.

Folglich gilt für jedes Teilintervall I I:

     sup xIf(x) sup xIfn(x) + ε und inf xIf(x) inf xIfn(x) - ε.

Da fn in I integrierbar ist, existiert eine Zerlegung 𝔷 = (a0,,ak+1) von I, so daß

     Sfn(𝔷) -S_fn(𝔷) < ε 2 .

Schließlich erhält man für Ii := [ai,ai+1]:

     Sfn(𝔷) -S_fn(𝔷) = i=0k(a i+1 - ai) sup xIif(x) - inf xIif(x)

      i=0k(a i+1 - ai) sup xIifn(x) + ε- inf xIifn(x) + ε

      = 2ε i=0k(a i+1 - ai) =b-a + Sfn(𝔷) -S_fn(𝔷) <ε 3

      < 2ε(b - a) + ε 3 = ε.

Folglich ist f in I integrierbar.

Wegen |fn(x) - f(x)| < ε gilt weiterhin

     abf n(x)dx -abf(x)dx = abf n(x) - f(x)dx

      ab |f n(x) - f(x)|<εdx

      < ε(b - a) = ε 3 < ε.

Hieraus folgt

     lim nabf n(x)dx =abf(x)dx =ab lim nfn(x)dx.

(2). Setzt man Fn(x) := i=0nf i(x), dann konvergiert (Fn) in I gleichmäßig gegen f, und alle Fn sind in I integrierbar. Folglich gilt nach (1):

     lim nabF n(x)dx =ab lim nFn(x)dx =ab n=0f n(x)dx =abf(x)dx.

Weiterhin ist

     lim nabF n(x)dx = lim nab i=0nf i(x)dx = lim n i=0n abf i(x)dx:=gi(x)

      = lim n i=0ng i(x) = i=0g i(x) = i=0abf i(x)dx,

und damit gilt

     abf(x)dx =ab n=0f n(x)dx = n=0abf n(x)dx.   <mi 
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Korollar.   (1)

Eine in einem Intervall I = [a,b] gleichmäßig konvergente Funktionenreihe kann gliedweise integriert werden.

  (2)

Potenzreihen können in jedem abgeschlossenen Teilintervall ihres Konvergenzbereiches gliedweise integriert werden.

Beweis. Der Beweis ist nach den Sätzen 5.20 und 9.24(2) trivial.   <mi 
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Schwerpunkte für die Wiederholung von Kapitel 9